Größte Krise seit 1976 Unions-Machtkampf eskaliert: CSU droht Merkel mit Alleingang

Berlin (dpa) - Der Machtkampf in der Union ist eskaliert und bringt nach weniger als 100 Tagen die Koalition von Angela Merkel ins Wanken. Im Streit über die Zurückweisung von Flüchtlingen drohte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) der Kanzlerin am Donnerstag mit einem Alleingang.

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Die CSU wies Merkels Vorschlag zurück, in den kommenden beiden Wochen auf europäischer Ebene eine Lösung für das Problem zu finden. Stattdessen setzte die Schwesterpartei der CDU-Chefin ein Ultimatum bis Montag und kündigte indirekt an, Seehofer könne andernfalls eigenmächtig eine Zurückweisung von Migranten an der Grenze anordnen. Trotz der Zuspitzung rechnet Merkel nach eigenen Angaben nicht mit einem Bruch der Koalition.

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Seehofer kritisiert Merkels Asylpolitik schon seit dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015/2016. Nun fordert er sie offen heraus. Seit Tagen streiten CDU und CSU darüber, ob auch Asylbewerber ohne Papiere und solche, die bereits in anderen EU-Ländern als Asylbewerber registriert sind, nicht mehr über die deutsche Grenze gelangen dürfen.

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Die CSU will diese künftig zurückweisen, Merkel lehnt dies ab. Lediglich bei der Zurückweisung von Personen, deren Asylantrag in Deutschland bereits abgelehnt wurde, signalisierte das CDU-Präsidium am Donnerstag Kompromissbereitschaft: Diese sollen bei einem erneuten Versuch der Einreise sofort zurückgewiesen werden.

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Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) reicht das aber nicht. „Bei der Zuwanderung dürfen wir keine halbe Sachen mehr machen“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.

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Die Auseinandersetzung spitzte sich am Donnerstag dramatisch zu. Der Bundestag unterbrach seine Beratungen im Plenum für mehrere Stunden. Die Abgeordneten von CDU und CSU kamen in der Zeit zu getrennten Beratungssitzungen zusammen - auch das ist höchst ungewöhnlich.

In der CSU-Landesgruppe verkündete Seehofer seine Bereitschaft, den Konflikt auf die Spitze zu treiben. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur erklärte er dort: Sollte es keine Einigung in der Frage geben, wolle er notfalls per Ministerentscheid handeln und dazu am Montag den Auftrag des CSU-Vorstandes einholen.

Merkel wiederum warb vor den CDU-Abgeordneten um Unterstützung für ihren Kurs in der Asylpolitik und bat nach Teilnehmerangaben um Vertrauen bis zum EU-Gipfel am 28. und 29. Juni in Brüssel.

Bei ihrem ersten Auftritt nach den Krisensitzungen sagte Merkel am Abend, sie wolle die zwei Wochen bis zum Gipfel nutzen, um sich um bilaterale Vereinbarungen mit EU-Staaten in der Frage zu bemühen. Sie distanzierte sich erneut von Seehofers Plan eines Alleinganges bei Zurückweisungen. Dabei würden „Grundprinzipien unseres Herangehens berührt“. Illegale Migration sei eine der großen Herausforderungen der EU. Sie glaube deshalb, „dass wir nicht unilateral handeln sollten, dass wir nicht unabgestimmt handeln sollten und dass wir nicht zu Lasten Dritter handeln sollten“, betonte Merkel nach einem turnusmäßigen Treffen mit den Ministerpräsidenten der Länder.

Auf die Frage, ob sie damit rechne, angesichts des Unions-Konflikts im Herbst noch im Amt zu sein, sagte Merkel: Das Treffen mit den Ministerpräsidenten habe sie bestärkt, schneller und konzentrierter bei den anstehenden Projekten zu arbeiten, „und ich gehe davon aus, dass wir das auch gemeinsam tun, auch die Bundesregierung“.

Die CSU baut aber enormen Druck auf: Sie will Merkel keine zwei Wochen Zeit geben und nicht auf eine europäische Lösung warten. Man habe „nicht den Glauben daran“, dass eine EU-Lösung in wenigen Tagen zu erreichen sei, sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Teile von Seehofers Masterplan stünden „in der direkten Verantwortung des Bundesinnenministers“ und sollten daher umgesetzt werden, ohne auf eine Einigung in der EU zu warten. Dies sei dringend nötig, „um wieder Ordnung an den Grenzen zu schaffen“.

Dobrindt sagte, die CSU-Landesgruppe sei in der Frage einig und wolle diese Position nun am Montag in den CSU-Parteivorstand tragen, um dort zu einer Entscheidung zu kommen. Damit setzte die CSU der Kanzlerin auch öffentlich ein Ultimatum. Dobrindt versicherte, seine Partei habe großes Interesse an einer gemeinsamen Haltung der Union zur Neuordnung der Migrationspolitik. Er betonte aber, jetzt sei der Zeitpunkt zum Handeln. „Ich will Ihnen nicht verschweigen, dass wir eine ernste, eine sehr ernste Situation haben.“ Es sei auch von einer „historischen Situation“ die Rede gewesen.

Rechtlich betrachtet könnte Seehofer als Innenminister durchaus die Bundespolizei eigenmächtig anweisen, bestimmte Flüchtlinge an der Grenze abzuweisen. Er bräuchte dafür nicht die Zustimmung der Kanzlerin oder des Kabinetts. Faktisch würde das aber wohl das Ende der Regierung bedeuten. Die Kanzlerin könnte, wenn sie den Alleingang verhindern wollte, Seehofer das Vertrauen entziehen und ihn als Minister entlassen. Bei einem Bruch zwischen den Unions-Parteien hätte die schwarz-rote Koalition aber keinen Bestand mehr.

Die übrigen Parteien beäugen die Eskalation mit Sorge und machen Seehofer zum Teil schwere Vorwürfe. SPD-Chefin Andrea Nahles wies den CSU-Vorschlag strikt zurück und forderte ein Ende des Unions-Streits. „Theaterstücke im Dienste von Landtagswahlen sind hier nicht angemessen“, sagte sie mit Blick auf die CSU, die im Oktober ihre Mehrheit bei der Landtagswahl in Bayern verteidigen will und in der Flüchtlings- und Asylfrage auf eine harte Linie pocht.

Die Grünen verurteilten Seehofers Vorgehen und sprachen von einer besorgniserregenden Regierungskrise. Seehofer missbrauche seinen Ministerposten für den CSU-Wahlkampf, rügte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter. Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht rief Merkel auf, die Koalition angesichts des Streits zu beenden. „Die Union ist offensichtlich nicht mehr regierungsfähig und zerlegt sich auf offener Bühne“, sagte sie. „Merkel sollte jetzt Konsequenzen ziehen und der Bevölkerung eine Fortsetzung dieses Trauerspiels ersparen.“ Linke-Chef Bernd Riexinger forderte Seehofer zum Rücktritt auf. Die AfD bezeichnete den Unions-Streit als rein wahltaktisches Manöver.

Beistand bekam Seehofer von FDP-Chef Christian Lindner. Er sagte, eine Rückkehr zum alten Recht erhöhe den Einigungsdruck in der EU.