Analyse: Datenschutz soll in die Technik eingebaut werden

Berlin (dpa) - Das Leben in der digitalen Gesellschaft erzeugt Tag für Tag neue Daten - private Informationen, die für Behörden, Unternehmen oder Hacker höchst interessant sind.

Der oberste deutsche Datenschützer Peter Schaar sieht hier eine zentrale Herausforderung: „Technik muss so gestaltet werden, dass der Einzelne die Kontrolle behalten kann“, forderte Schaar auf einem Diskussionsforum am Mittwochabend in Berlin. Andere aber haben schon kapituliert, sprechen von Kontrollverlust und „Post-Privacy“, von einer neuen Ära, in der der Schutz der Privatsphäre Vergangenheit ist.

Die Datenschutzprobleme Sozialer Netzwerke ebenso wie die Pannen bei der Sicherung von Kundendaten offenbaren grundlegende Mängel - die rechtlichen Bestimmungen einzelner Staaten können die Praxis global agierender Unternehmen kaum einschränken.

Daher versuchen Datenschützer, Sicherungsvorkehrungen schon von Anfang an in der digitalen Technik zu integrieren, etwa beim geplanten Aufbau neuer intelligenter Stromnetze. Die Entwicklung digitaler Stromzähler unter dem Stichwort „Smart Metering“ müsse von vornherein datenschutzfreundlich gestaltet werden, forderte die zuständige Referentin beim Bundesdatenschutzbeauftragten, Miriam Pfändler, am Mittwochabend bei einer Podiumsdiskussion in Berlin.

„Wir möchten, dass nicht alle Daten immer sofort den Haushalt verlassen.“ Nur diejenigen Informationen zum Stromverbrauch dürften weitergeleitet werden, die für die Abrechnung erforderlich seien. „Das ist eine Komponente, die man technisch regeln kann.“ Dies sei sinnvoller, als im nachhinein mit gesetzlichen Regelungen zu operieren.

Unterstützung erhielten die Datenschützer auf dem Forum in Berlin von Netzaktivist Markus Beckedahl: Wenn man neue Systeme wie Smart Metering entwerfe, müsse es selbstverständlich sein, „dass man von vornherein datenschutzfreundliche Lösungen in das Design einbaut“.

Allerdings sehen sich die Datenschützer von Teilen der Internet-Szene zunehmend infrage gestellt. In den USA gehört der Autor Jeff Jarvis zu denjenigen, die das traditionelle Bemühen um den Schutz der Privatsphäre für überholt erklären. Berühmt ist sein Blog-Eintrag vom Oktober 2009, in dem er sich freimütig über die Folgen seiner Prostata-Krebs-Erkrankung äußert: „Es ist an der Zeit, über meinen Penis zu schreiben.“

Der Berliner Blogger Christian Heller sagte auf dem Datenschutzforum im Museum für Kommunikation, wie er führten inzwischen viele Leute „ein Leben, das in Richtung Post-Privacy geht“. Post-Privacy sei „halb Zustandsbeschreibung, halb Utopie“. Kontrolle über die eigenen Daten sei in der digitalen Gesellschaft einfach nicht mehr möglich. Daher müsse gefragt werden, wie die Konsequenzen möglichst sinnvoll zu gestalten seien. „Am Ende steht ein utopisches Ideal, dass dadurch, dass alle nackt sind, niemand mehr einem anderen die Nacktheit vorhält.“ Im Moment befinde sich die Gesellschaft in einer Übergangszeit.

„Das ist ja erst mal eine sehr sympathische Vision“, sagte der Bundesdatenschutzbeauftragte Schaar. Aber es gebe da die Gefahr, dass im Bewusstsein der Rundum-Überwachung genau das Gegenteil erreicht werde, „dass die Leute nur noch das sagen, was andere hören wollen“. Das Ergebnis wäre dann eine Verstärkung bestehender Machtstrukturen.

Die Politikwissenschaftlerin Julia Schramm, die mit einem kontroversen Interview den Auslöser für die Diskussion mit den Datenschützern geliefert hatte, sprach am Mittwochabend von der „großen digitalen Revolution, die uns alle erbarmungslos erfasst“ und neben anderen traditionellen Einrichtungen auch die Privatsphäre infrage stelle. Diese sei als „Sphäre meines Ichs“ auch nicht festgelegt, sondern völlig relativ und immer sehr individuell. Im Anschluss an die Podiumsrunde aber sieht sie auch Gemeinsamkeiten mit dem Bemühen der Datenschützer, das sie zuvor noch als „sowas von Eighties“ bezeichnet hatte: „Eigentlich wollen wir ja alle dasselbe, eine faire Gesellschaft.“