Analyse: Der Breivik-Prozess und die Medien

Oslo/Berlin (dpa) - Das Foto eines hämisch lächelnden Massenmörders groß auf der Titelseite einer Tageszeitung - geht das? Die zum rechtsradikalen Gruß geballte Faust von Anders Behring Breivik in einer Nachrichtensendung - ist das journalistisch verantwortungsvoll?

Oslo/Berlin (dpa) - Das Foto eines hämisch lächelnden Massenmörders groß auf der Titelseite einer Tageszeitung - geht das? Die zum rechtsradikalen Gruß geballte Faust von Anders Behring Breivik in einer Nachrichtensendung - ist das journalistisch verantwortungsvoll?

Verletzt all dies die Gefühle der Angehörigen der Opfer, wird dem geständigen Täter eine zu große Bühne geboten? Der Prozess gegen den norwegischen Islamhasser, der im vergangenen Sommer 77 Menschen umbrachte, stellt auch die Medien vor große Herausforderungen: Wie sollte über einen derart menschenverachtenden Mörder berichtet werden?

Dass über den Prozess berichtet werden muss, ist unstrittig. „Die Monstrosität des Verbrechens führt dazu, dass wir fast schon ein monsterhaftes Interesse daran haben“, sagt der Medienwissenschaftler Alexander Kissler. „Wer so eine abscheuliche Tat begangen hat, zieht unser großes Interesse auf sich, weil wir natürlich nach Erklärungen dürsten: Warum hat der das gemacht?“

Aber der Experte schickt auch gleich eine Warnung hinterher: „Jetzt ist jeder Einzelne gefragt - Journalist wie Konsument - dem Affen in sich da nicht immer Zucker zu geben. Es wäre auch durchaus denkbar, es bei einer knappen Begleitung bewenden zu lassen und nicht jede abscheuliche Enthüllung sofort wieder zum Aufmacher zu machen.“ Es gebe kein Recht auf eine lückenlose Bebilderung oder Berichterstattung. „Man muss manchmal auch den Mut haben, gewisse Dinge wegzulassen.“

Anders als in Deutschland sind in Norwegen Radio- und Fernsehübertragungen von Gerichtsverhandlungen mit Ausnahmen erlaubt - das heißt, es gibt viele Fotos und ausführliches Filmmaterial. Das kann für Medien zum Problem werden, warnt Kissler. „Man trägt dadurch leider zu dem falschen Eindruck bei, dass Perversion mit Aufmerksamkeit belohnt wird.“

Sehr unterschiedlich gingen deutsche Medien zum Prozessauftakt mit dem Thema um. Einige Zeitungen druckten gar keine Fotos, andere neutrale Bilder aus dem Gerichtssaal. Boulevardmedien zeigten Breivik vielfach in Großaufnahme und mit seiner rechtsradikalen Geste. „Was der Boulevard macht, sehe ich kritisch, weil er (Breivik) da als Monster gezeigt wird“, sagt Alexander Filipovic, Ethikwissenschaftler an der Universität Münster, der sich die Medienberichterstattung zum Prozess genau angesehen hat. „Das, was die anderen machen, finde ich durchaus verantwortungsvoll.“

Viele Medien kommentierten die Ereignisse und auch ihren eigenen Umgang damit. Das öffentliche Interesse am Prozess zwinge seine Redaktion zu einer Entscheidung, sagte Claus Kleber, Moderator des ZDF-„heute journals“ während der Live-Sendung am Montagabend. „Und die heißt: Wir konzentrieren uns auf den Kern des Berichtenswerten. Sätze und Gesten von Breivik, die für die Galerie gedacht waren, wie so ein Nazigruß zu Beginn der Verhandlung, kommen jetzt nicht.“

Dem Mörder keine Gelegenheit geben, zum Helden zu werden - dafür plädieren auch die Wissenschaftler. „Man muss deutlich machen, dass sich hier ein Angeklagter vor dem Gericht für schlimme Schandtaten verantworten muss“, sagt Kissler. Ethikexperte Filipovic sieht das ähnlich. „Ich würde aus einer ethischen Perspektive sagen, dass man die ganzen Fragen zu seiner Person zurückfahren und möglichst trocken über das berichten sollte, was im Prozess zur Sprache kommt.“ Auch der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) mahnte eine zurückhaltende Berichterstattung an.

Norwegische Zeitungen berichteten zum Prozessauftakt fast ausnahmslos breit von den Ereignissen. Im Internetauftritt der „Aftenposten“, der größten Zeitung des Landes, sprang den Leser noch am Dienstagmittag Breiviks selbstgefälliges Grinsen an, darunter lief ein Live-Ticker. Später wurde er nur noch schräg von hinten gezeigt, auch andere Medien zeigten im Internet nur normale Gerichtsszenen.

Die Zeitung „Dagbladet“ gedachte gleich auf der Hauptseite der Opfer: Jedes einzelne wurde mit Bild und Text vorgestellt. Für die vielen Norweger, die den ganzen Rummel um den Massenmörder satt haben, bietet www.dagbladet.no alternativ auch eine Startseite ganz ohne den Breivik-Prozess.