Analyse: Der Fall des Sebastian Edathy
Rehburg/Berlin (dpa) - Es ist ein die SPD erschütternder Verdacht. Gerade erst hatte der profilierte Innenpolitiker Sebastian Edathy sein Bundestagsmandat niedergelegt, nun ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen ihn.
Er setzt sich gegen einen Kinderpornografie-Verdacht zur Wehr.
Auf dem Klingelschild ist der Bundesadler abgebildet, „Sebastian Edathy MdB“ steht darauf. Der Briefkasten ist wohl länger nicht geleert worden. Auch die Lokalzeitung mit dem Artikel über die Durchsuchung in Wohn- und Büroräumen des bisherigen SPD-Bundestagsabgeordneten steckt noch im Kasten.
„Ich hatte ein ganz gutes Bild von ihm, aber man guckt in die Menschen ja nicht rein“, sagt eine Frau, die in eine nahe gelegene Bank eilt. Im 3500-Einwohner-Ort Rehburg nahe des Steinhuder Meeres kennt man sich, zumindest flüchtig. Immer wieder wurde der Sohn eines aus Indien stammenden evangelischen Pastors und einer Deutschen hier beim Spazierengehen mit seinem Hund gesehen.
Viermal gewann Edathy das Direktmandat des Wahlkreises Nienburg II - Schaumburg, seit 1998 saß er im Bundestag, bevor er am Samstag überraschend mitteilte: „Ich habe mich aus gesundheitlichen Gründen dazu entschieden, mein Bundestagsmandat niederzulegen.“ Dieser Schritt erscheint seit Dienstag in einem anderen Licht.
320 Kilometer weiter, in Berlin, ist Christine Lambrecht die Erschütterung anzusehen. Um 10.15 Uhr kommt sie in den Marie-Juchacz-Saal im Reichstag, eigentlich will die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion die geplante Diätenerhöhung erläutern. Aber sie sagt gleich etwas zu den kursierenden Berichten über Edathy. „Die genannten Gründe, Verdacht auf Besitz von Kinderpornografie, sind schwerwiegend.“ Sie sei zutiefst bestürzt. Auf Nachfrage muss sie einräumen, dass sie den Verdacht nur aus den Medien kennt.
Die zuständige Staatsanwaltschaft Hannover äußert sich nicht genauer zu den Gründen für die Durchsuchungen bei Edathy. Er selbst ist für die SPD-Granden am Dienstag nicht greifbar. „Er ist im Moment nicht erreichbar“, sagt Lambrecht. Sie wisse auch nicht, wo er derzeit sei. Gleiches sagt auch Fraktionschef Thomas Oppermann.
Edathy selbst meldet sich kurze Zeit später via Internet. Auf seiner Facebook-Seite findet sich folgende Erklärung: „Die öffentliche Behauptung, ich befände mich im Besitz kinderpornografischer Schriften bzw. hätte mir diese verschafft, ist unwahr.“ Er gehe davon aus, dass die Unschuldsvermutung auch für ihn gelte. „Ein strafbares Verhalten liegt nicht vor.“ Es ist ein seltsamer Fall - am Nachmittag ist Oppermann vorsichtiger als Lamprecht und wiederholt den Kinderporno-Verdacht nicht. „Ich erwarte von den Ermittlungsbehörden, dass sie diesen Sachverhalt, schnell, umfassend und genau aufklären“, betont er.
Viele wunderten sich nach der Bundestagswahl, dass der geschätzte Innenpolitiker, der als Vorsitzender des Untersuchungsausschusses zu den NSU-Morden das Versagen der Geheimdienste angeprangert hatte, nach der Wahl bei der Postenvergabe leer ausging. Er hatte sich durch seinen Einsatz gegen Rechts auch als moralische Instanz profiliert. Die letzten Wochen hat der ledige, kinderlose Soziologe im Bundestag gefehlt.
Seit Anfang Januar war er krankgeschrieben. In der Partei ist von Erschöpfungssymptomen als Grund für das krankheitsbedingte Fehlen die Rede. Noch sind viele Fragen offen, auch die SPD weiß wenig Konkretes. Handelt es sich um einen strafrechtlich relevanten Fall? Kam der Hinweis aus Kinderporno-Ermittlungen des Bundeskriminalamtes? Wann wusste er von den Ermittlungen gegen ihn? Und wie kann es sein, dass die Lokalpresse bei der Durchsuchung vor Ort ist und in Edathys Wohnung fotografiert? Edathy will Anzeige erstatten.
In Edathys Heimat sagt die Büroleiterin des Unterbezirks Nienburg, Christine Rinne: „Wir sind alle sehr bestürzt.“ Die SPD sei stolz, dass er so eine Karriere hingelegt habe. Zu den Vorwürfen sagt sie: „Ich glaube ihm, wenn er es abstreitet.“