Analyse: Deutschland als globale Ordnungsmacht?
Berlin (dpa) - Zehn Jahre sind vergangen, seit die Bundesregierung zuletzt die Grundlagen ihrer Sicherheitspolitik in einem Weißbuch neu definierte. Die Welt war damals noch eine andere.
Der russische Präsident Wladimir Putin galt als enger Partner des Westens, es gab noch keine Terrororganisation Islamischer Staat (IS) und keine Bürgerkriege in Syrien und Libyen. Heute spukt das Gespenst eines neuen Kalten Krieges durch Europa, der IS schießt und bombt sich durch westliche Metropolen und Millionen Menschen fliehen vor Krieg und Gewalt nach Europa.
Man habe es mit einer „nie da gewesenen Parallelität und Größenordnung von Krisen und Konflikten“ zu tun, heißt es in dem neuen Weißbuch zur Sicherheitspolitik, das jetzt die längst nicht mehr aktuelle Schrift von 2006 ablöst. Das Kabinett will das 83 Seiten starke Werk am Mittwoch beschließen. Wenn es einen Titel hätte, könnte er lauten: „Deutschland als globale Ordnungsmacht“ - ein hoher Anspruch.
„Deutschland ist ein in hohem Maße global vernetztes Land, das aufgrund seiner wirtschaftlichen, politischen und militärischen Bedeutung, aber auch angesichts seiner Verwundbarkeit in der Verantwortung steht, die globale Ordnung aktiv mitzugestalten“, heißt es in dem Text. Und an anderer Stelle: „Deutschlands sicherheitspolitischer Horizont ist global.“
Damit führt das Weißbuch die Linie fort, die Bundespräsident Joachim Gauck, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) 2014 auf der Münchner Sicherheitskonferenz vorgegeben haben. Deutschland müsse mehr Verantwortung in der Welt übernehmen - auch militärisch. „Gleichgültigkeit ist für ein Land wie Deutschland keine Option“, sagte von der Leyen damals.
Diesen Anspruch hat die Bundesregierung seitdem bereits mehrfach erfüllt. In der Ukraine-Krise übernahm Deutschland zusammen mit Frankreich erstmals die Federführung bei der Lösung einer großen internationalen Krise - ganz ohne die USA. Für die Bekämpfung des IS brach die Bundesregierung gleich zwei Tabus. Erst wurden Waffen in ein Krisengebiet geliefert - an die Kurden im Nordirak. Dann wurden deutsche Soldaten ohne Auftrag der Nato, der EU oder der Vereinten Nationen zu Ausbildungszwecken in einen Auslandseinsatz geschickt. Auch das hat es zuvor noch nicht gegeben.
Und bei der Abschreckungsstrategie der Nato gegenüber Russlands ist die Bundeswehr ganz vorne mit dabei. Am vergangenen Freitag beschloss das Bündnis, erstmals in größerem Stil Truppen in Osteuropa zu stationieren - Deutschland zählt neben den USA, Großbritannien und Kanada zu den vier Ländern, die eine Führungsrolle einnehmen.
Jetzt gibt es den 2014 eingeleiteten Paradigmenwechsel mit dem Weißbuch schwarz auf weiß. Darin heißt es zum Beispiel, der europäische Pfeiler in der Nato müsse gestärkt werden. „Deutschland ist hier bereit, in Vorleistung zu treten und in einer erheblichen Breite als Rahmennation zu wirken.“
Die Bundeswehr soll sich zudem stärker in Friedensmission der Vereinten Nationen engagieren und auch dort Führungsverantwortung übernehmen. Um ihren zunehmenden Aufgaben gewachsen zu sein, soll die Truppe bessere Ausrüstung und mehr Personal erhalten. Von der Leyen hat die Trendwende bereits eingeleitet. Ob die bisher geplante Erhöhung des Verteidigungsetats und Personalaufstockung reicht, ist aber umstritten.
Zu den neuen Aufgaben der Bundeswehr zählt auch eine im Inneren. Die Bundeswehr soll darauf vorbereitet werden, bei großangelegten Terroranschlägen zum Einsatz zu kommen. Dazu soll es Übungen mit der Polizei geben. Bisher gab es die vor allem für Katastrophenfälle wie zum Beispiel Flugzeugunglücke.
Die Grundlage für die Anti-Terror-Übungen bildet eine Interpretation der Verfassung im Weißbuch. Danach ist auch eine „terroristische Großlage“ ein besonders schwerer Unglücksfall. Und für einen solchen ist der Einsatz der Bundeswehr erlaubt.
Auch Visionen dürfen in einem Weißbuch nicht fehlen. Die Bundesregierung strebt weiter einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat an. Alle Versuche einer Reform des wichtigsten Gremiums der Vereinten Nationen sind bisher aber gescheitert. Im Weißbuch ist deswegen von einem „Fernziel“ die Rede. Das dürfte auch für die angestrebte Europäische Sicherheits- und Verteidigungsunion gelten. Angesichts der aktuellen Krise der Europäische Union mag man an ein solches Projekt kaum glauben.