Analyse: Endstation Dschihad
Berlin (dpa) - Ihre Hosenbeine enden über dem Knöchel und die Bärte sind lang. Sie pflegen ein schwarz-weißes Weltbild und fühlen sich Andersgläubigen moralisch überlegen. Doch da hören die Gemeinsamkeiten zwischen westlichen und orientalischen Salafisten auch fast schon auf.
„Das traditionelle orientalische Salafisten-Milieu sieht ganz anders aus als hier in Europa“, sagt Mathias Rohe, der als Jurist und Islamwissenschaftler unter anderem den Verfassungsschutz berät.
Seiner Einschätzung nach zieht die Bewegung in Deutschland vor allem gesellschaftliche Randfiguren mit niedrigem Bildungsniveau sowie „gewendete Kleinkriminelle“ an. Bei der Analyse von Propaganda-Videos deutscher Salafisten habe er zudem festgestellt: „Von den prominenten Salafisten aus Deutschland kann kaum einer einen geraden Satz reden - und das gilt nicht nur für die Söhne muslimischer Einwanderer, sondern auch für viele deutsche Konvertiten, die sich der Bewegung angeschlossen haben.“ Im Bürgerkriegsland Syrien würden sie „gerne zu Selbstmordattentaten geschickt, weil sie zu sonst nichts gut sind“, sagt Rohe.
In den arabischen Ländern und in der Türkei verfügt das Führungspersonal der Bewegung, die von Saudi-Arabien finanziell unterstützt wird, dagegen in der Regel schon über ein Mindestmaß an Bildung und religiösem Wissen. Anders als in Deutschland, wo sich viele Menschen von Salafisten provoziert fühlen, sind sie dort zum Teil wohlgelitten. Sie gelten als weniger korrupt als andere politische Bewegungen und stoßen mit karitativen Projekten oft in Nischen vor, aus denen sich der Staat zurückgezogen hat.
In zerfallenden Staaten wie Somalia und Syrien und in vernachlässigten Gebieten wie im sunnitischen Kernland des Irak bemühen sich militante Salafisten-Gruppen wie die Al-Shabab-Miliz oder die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) außerdem, so etwas wie eine staatliche Infrastruktur zu schaffen. Die Gewaltexzesse - von der Enthauptung vermeintlicher Ungläubiger bis zur Versklavung nicht-muslimischer Frauen - nimmt zumindest ein Teil der Bevölkerung billigend in Kauf, wie das Beispiel der von IS überrannten Stadt Mossul gezeigt hat.
Doch wer sind diese Salafisten, die der Verfassungsschutz als die „in Deutschland wie auch auf internationaler Ebene (...) zurzeit dynamischste islamistische Bewegung“ ansieht? Sind sie wirklich alle so gefährlich? Experten plädieren dafür, nicht alle Salafisten in einen Topf zu werfen, obwohl die Grenzen oft fließend sind.
Denn nicht jeder Salafist ist auch ein gefährlicher Terrorist. Einige Salafisten beschränken sich darauf, einen Lebensstil zu pflegen wie im 7. Jahrhundert. Sie benutzen zum Beispiel ein Hölzchen für die Zahnreinigung anstatt eine Zahnbürste, wie dies zu Lebzeiten des Propheten Mohammed in Mekka und Medina üblich war.
Oft ziehen diese Frömmler in Gruppen umher, um andere Muslime „auf den rechten Weg zu führen“. Normalerweise gehen sie dabei diskreter vor als die jungen Männer, die mit ihren „Shariah-Police“-Westen kürzlich in Wuppertal einen Aufschrei auslösten. Trotzdem fühlen sich liberale Muslime, wenn sie von Salafisten in deutschen Moscheen angesprochen werden, gelegentlich auch belästigt. „Sicher, das ist ein Problem, wir dürfen in dieser Frage aber auch nicht juristisch hyperventilieren“, warnt Rohe.
Bei Deutschen beginnt die „Salafistenkarriere“ oft damit, dass ein Prediger in der Moschee eine besonders scharfe Abgrenzung gegenüber Christen betreibt. Wem das zusagt, der schließt sich vielleicht anschließend einem radikalen Gebetskreis in einer Privatwohnung an. Nicht alle Teilnehmer dieser Zirkel springen später auch auf Propaganda-Videos von Dschihadisten an. Und nicht jeder, der diese Videos anschaut, landet hinterher als potenzieller Selbstmordattentäter in Syrien.
Es ist ähnlich wie beim Drogenkonsum: Nicht jeder, der als Jugendlicher einen Joint pro Woche raucht, hängt hinterher an der Nadel - aber unter den Heroin-Abhängigen findet man kaum jemanden, bei dem der Drogenkonsum nicht mit leichteren Substanzen begonnen hat.
Die Muslimbrüder, die in ihrer Gesamtheit weniger militant sind und eher aus dem bürgerlichen Milieu stammen, grenzen sich bewusst von den Salafisten ab. Ein muskelbepackter Salafist, der in einer deutschen Fußgängerzone demonstriert, würde mit dem Mitglied einer Rockerbande wahrscheinlich mehr Gemeinsamkeiten finden als mit einem Angehörigen des tunesischen Ablegers der Muslimbruderschaft. Denn wie die Rocker sind auch die Salafisten-Gruppen im Kern männerbündlerische Vereinigungen, die den Staat verachten und nur ihre eigenen Gesetze respektieren.