Analyse: Ermittler hoffen auf Hilfe beim Nazi-Puzzle
Karlsruhe (dpa) - Zum Schluss hatten die Neonazis der Zwickauer Terrorzelle wohl einen gemeinsamen Tod geplant. Nach Angaben eines Zeugen sollen die drei mutmaßlichen Terroristen darüber gesprochen haben, was sie denn tun würden, wenn sie entdeckt werden.
„Da ist davon gesprochen worden, dass man dann wohl gemeinsam aus dem Leben scheiden würde. Dass man sich nicht in die Hand der Sicherheitsbehörden begeben will“, sagte BKA-Chef Jörg Ziercke am Donnerstag in Karlsruhe. So habe es ein Zeuge geschildert.
Als es dann soweit war, als Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach einem Banküberfall in der Falle saßen, in einem Wohnmobil, ohne Fluchtmöglichkeit, da erschoss Mundlos zunächst seinen Komplizen und dann sich selbst. Beate Zschäpe hingegen, die mutmaßliche Dritte im Terror-Trio, setzte zwar die gemeinsame Wohnung in Brand, stellte sich dann aber der Polizei. So der bisherige Stand der Ermittlungen, wie ihn Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt am Donnerstag präsentierten.
Während Zschäpe und drei mutmaßliche Helfer der Gruppe in Untersuchungshaft sitzen, versuchen die Ermittler aus rund 2500 Beweisstücken das Puzzle des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) zusammenzusetzen. 420 Beamte aus Bund und Ländern sind bei den Ermittlungen im Einsatz, weitere 100 sollen noch hinzukommen.
Seit 1998 waren Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe untergetaucht. Sie benutzten falsche Namen, gefälschte Ausweispapiere, Pässe und BahnCards. „Mehrere Wohnungen wurden in diesen 13 Jahren angemietet. Dafür hatten sie Helfer und Unterstützer“, so Ziercke. Noch gebe es aber „zeitliche Lücken“. Zwischendurch habe es Phasen gegeben, in denen die Untergetauchten „ganz normal am Leben teilgenommen haben“ - zum Beispiel bei Campingurlauben an der Ostsee.
Eines der Fahndungsfotos zeigt Böhnhardt und Mundlos vor einem Campingwagen. Sie sind gut gebräunt, Böhnhardt raucht einen Zigarillo. Offenbar ließ man es sich auch mal gut gehen im Nationalsozialistischen Untergrund.
Zehn Morde, zwei Sprengstoffanschläge und mindestens 14 Banküberfälle schreiben die Ermittler der Terrorgruppe zu. Derzeit prüfen sie, ob dem NSU weitere Taten zugeordnet werden können. Es gebe eindeutige Belege, dass die Täter planvoll gehandelt hatten, so Ziercke. Die Gruppe habe sich auch deshalb so lange im Untergrund halten können, weil sie versucht habe, „alles bis ins Detail zu durchdenken, sich abzusichern und das auch mit einen Unterstützerumfeld zu besprechen“.
Wie groß dieses Umfeld war? Eine gute Handvoll möglicher Unterstützer sei im Visier der Ermittler, sagte Generalbundesanwalt Range; genauer wollte er sich nicht festlegen.
Rätselhaft bleibt, wie die Heilbronner Polizistin Michèle Kiesewetter in das Visier der Terroristen geraten konnte. Nach missverständlichen Berichten über eine angebliche Beziehungstat bemühte sich Ziercke nun um weitestmögliche Zurückhaltung. Es gebe „räumlich-geografische Bezüge“.
Kiesewetter stammt aus dem thüringischen Oberweißbach. Dort, so Ziercke, gab es einen Treffpunkt der rechten Szene, einen Gasthof. Mieter: Der Schwager von Ralf Wohlleben - dem früheren NPD-Funktionär, der inzwischen unter anderem deshalb in Untersuchungshaft sitzt, weil er den Terroristen eine Waffe beschafft haben soll. „Diese Bezüge in Verbindung zeigen uns, dass die Täter bei ihren Mordtatorten planvoll gehandelt haben.“
Über allem schwebt die Frage: Wie kann es sein, dass diese Gruppe so lange untertauchen konnte, ohne dass sie entdeckt wurde? Auch Ziercke scheint etwas ratlos. „Letztlich fehlte der entscheidende Hinweis.“ Auch nach der Entdeckung der Terrorgruppe gab es nur knapp 250 Hinweise aus der Bevölkerung - ungewöhnlich wenig, meint der BKA-Chef. Auch deshalb gehen die Ermittler nun mit einem Fahndungsaufruf an die Öffentlichkeit.