Analyse: EU startet Dauergipfel für Griechenland

Brüssel/Athen (dpa) - Die Begrüßung ist wie immer herzlich. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker tätschelt die Wange des griechischen Premiers Alexis Tsipras.

Anlass zur Freude gibt es auch: Der Radikallinke aus Athen übermittelte unmittelbar vor dem Krisengipfel zu Griechenland neue Vorschläge zur Lösung des Schuldenstreits. Steuererhöhungen sind dabei und Einsparungen, die zusammen in den kommenden eineinhalb Jahren fünf Milliarden Euro einbringen sollen.

Ein riskantes Manöver der letzten Minute. Es sorgt bei den Partnern auch für Verwirrung. Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem berichtet von zwei verschiedenen Offerten. Die eine ging am späten Sonntagabend ein, die andere am Montagmorgen.

Eine erste Überprüfung ergibt: ein willkommener, lange erwarteter Schritt in der seit Monaten dauernden Hängepartie um neue Milliardenhilfen. Aber das Bild bei den Finanzministern ist nicht einheitlich. Der Berliner Ressortchef Wolfgang Schäuble (CDU) vermisst „substanzielle Vorschläge“.

Reicht das neue Papier aus Athen nun aus? Gipfelchef Donald Tusk bilanziert, es seien die „ersten wirklichen Vorschläge in vielen Wochen“. EU-Routinier Juncker erwartet, „dass wir diese Woche eine Einigung mit Griechenland finden“. Und fügt warnend hinzu: „Das wird nicht einfach sein.“

Frankreichs Staatspräsident François Hollande zeigt sich betont zuversichtlich: „Die griechische Regierung will diese Krise verlassen und übernimmt ihre Verantwortlichkeiten.“ Eine Abmachung müsse her, so schnell wie möglich. Kanzlerin Angela Merkel, die in der Krise mit Hollande Hand in Hand arbeitete, spielt hingegen die Erwartungen herunter und spricht von einem „Beratungsgipfel“.

Der engste Mitarbeiter Junckers, Martin Selmayr, nährt vor den Doppel-Krisentreffen der Finanzminister und der Euro-Staats- und Regierungschefs schon einmal Hoffnungen auf einen Deal. Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter spricht er - in Deutsch - von einer „Zangengeburt“. Diese, so stellt sich später heraus, dürfte wohl etwas länger dauern.

Das unwirtliche EU-Ministerratsgebäude mit seinen riesigen, fensterlosen Konferenzräumen wird in der gerade begonnenen Woche eine Art Dauergipfel beherbergen. Die Euro-Finanzminister dürften sich erneut vor dem regulären EU-Gipfel treffen, der am Donnerstag beginnt und über zwei Tage laufen wird. Auch beim zweiten Gipfel innerhalb einer Woche dürfte die Griechenland-Krise wieder zur Sprache kommen.

Die Zeit drängt. Das griechische Hilfsprogramm läuft in einer guten Woche aus. Falls die „Chefs“ und ihre Chef-Kassenhüter scheitern, muss Athen auf Milliardenhilfen aus dem Plan verzichten, es droht die Staatspleite. „Wir sind nicht mehr fünf vor Zwölf, aber 30 Sekunden vor Zwölf“, resümiert Luxemburgs Premier Xavier Bettel.

„Es gibt keine Zauberformel“, sagt einer, der bei den Mächtigen dabei ist. Kanzlerin Merkel, Hollande und die 17 übrigen Staats- und Regierungschefs könnten nicht die drei Geldgeberinstitutionen EU-Kommission, Europäische Zentralbank (EZB) und den Internationalen Währungsfonds (IWF) ersetzen. Diese müssten beurteilen, ob das Spar- und Reformpaket ausreiche. „Falls sich Tsipras Illusionen gemacht haben sollte, einen Deal auf Spitzenebene zu bekommen, also nur mit Merkel und den anderen, dürfte er enttäuscht sein“, meint ein Diplomat.

Schon zum Auftakt der Marathonverhandlungen wird klar: Europa versucht mit einem riesigen Kraftakt, seine Währungsunion zu retten. Die Folgen einer Pleite Griechenlands und eines Austritts aus dem Euro sind unkalkulierbar, weil Musterfälle fehlen.

Auch in Athen stellen sich Diplomaten auf eine tagelange Dauerkonferenz in Europas Hauptstadt ein. Eine Frage lautet dabei: Wird Tsipras eine Vereinbarung mit neuen, einschneidenden Sparmaßnahmen durch das heimische Parlament bekommen?

In den Banken des Landes wächst unterdessen die Unruhe, denn Kunden räumen aus Angst vor einer Staatspleite ihre Konten. Wie lange wird die Europäische Zentralbank (EZB) noch mit sogenannten Ela-Notkrediten für die Geldhäuser gegensteuern? Unmittelbar vor dem Gipfel erhöht die Frankfurter Notenbank den Rahmen für die Versorgung mit frischem Geld erneut - und gibt damit ein positives Zeichen. Wiederholung in den nächsten Tagen nicht ausgeschlossen.