Analyse: Europa wartet auf die Parlamentskanzlerin
Berlin (dpa) - Angela Merkel lässt sich nur sehr selten in ihre politische Seele schauen. Nach ihrer Begegnung mit der Ministerpräsidentin aus Bangladesch am Dienstag ist so ein Moment. Die Kanzlerin spricht über eine sehr „fordernde und animierende“ Lage vor dem entscheidenden zweiten Euro-Gipfel.
Einerseits ist sie durch den Bundestag gefesselt, andererseits muss sie in Europa führen. „Wir bewegen uns hier in einem Gebiet, in dem wir alle miteinander Neuland beschreiten“, sagt Merkel.
Romantisch veranlagte Polit-Haudegen vermissen schon jetzt jene Brüsseler Gipfel, in denen mitten in der Nacht deutsche Kanzler auf den Tisch hauten und später der Bundestag brav abnickte.
Nun muss Merkel sich am Mittwoch die Rückendeckung des Hohen Hauses erwerben, um ein Gesamtpaket im Kampf gegen die Schuldenkrise zu schnüren. Aus Sicht der Steuerzahler eine gute Entwicklung.
Das alles liegt auf Linie des jüngsten Urteils der Karlsruher Verfassungsrichter und könnte letztlich sogar Merkels Verhandlungsposition in Brüssel gegenüber den klammen Südstaaten stärken, die an Deutschlands Geld heranwollen.
Fieberhaft verhandelten am Dienstag die Fraktionen von Union, FDP, SPD und Grüne über einen gemeinsamen Antrag, mit dem Deutschlands Position unumstößlich festgelegt wird. In Koalitionskreisen war von einem „fairem Kompromiss“ die Rede. Im schwarz-gelben Lager gab es insgesamt 16 Abweichler - damit würde Merkel am Mittwoch sogar wieder ihre Kanzlermehrheit holen.
Ein wichtiger Teil des Beschlusses: Die Bundesregierung darf in Brüssel keinem Vorstoß zustimmen, dass der EFSF sich über die Europäische Zentralbank (EZB) oder die Europäische Investitionsbank (EIB) nahezu unbegrenzt Geld besorgen könne.
Rot-Grün wertete als ihren Erfolg, dass in dem Papier der ominöse Hebel („Leverage“) erwähnt und die von ihnen vehement geforderte Steuer auf Finanzgeschäfte beschlossen wurden.
Haushälter der Koalition erwiderten, beim Hebel müsse das Risiko für die Steuerzahler gar nicht höher sein, sondern könne auch geringer ausfallen. Und die Formulierung zur Einführung einer Finanzsteuer sei doch eher „wachsweich“, hieß es.
Mit der breiten Bundestagszustimmung scheint sich der überraschende Schachzug von Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) auszuzahlen, die Entscheidung über die ominöse Aufblähung des Rettungsfonds dem gesamten Bundestag zu überlassen.
Die Frage nach der Kanzlermehrheit hängte Schwarz-Gelb tief. „Ich habe keinen Bedarf daran, diese Diskussion jetzt alle 14 Tage zu führen“, sagte Fraktionsmanager Peter Altmaier.
FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle formulierte es drastischer. Er warte darauf, dass beim nächsten Mal jemand eine „SED-Mehrheit“ von 100 Prozent von der Koalition fordere.
Zugleich hat die Koalition aber einen Präzedenzfall geschaffen. Fließen bald Milliarden aus dem Rettungsfonds an das neue große Euro-Sorgenkind Italien oder bedrohte Banken, dürfte es nicht lange dauern, bis Abgeordnete wieder eine Debatte im Plenum einfordern werden.
In Koalitionskreisen wird betont, man müsse die neue Macht des Parlaments sorgsam einsetzen. Der EFSF dürfe im Tagesgeschäft nicht behindert werden. Denn das könnte irgendwann neue Turbulenzen an den Märkten heraufbeschwören.