Analyse: Furcht vor dem unsicheren Hartz-Kantonisten

Berlin (dpa) - Für einige ist der nächste Termin nur eine Frage von Tagen. „Am kommenden Montag sehen wir uns dann wieder“: So verabschiedete sich SPD-Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann in der Nacht in der Berliner Saarland-Vertretung von den schwarz-gelben Unterhändlern bei den Hartz-Verhandlungen.

„Die Preise werden bis dahin nicht sinken“, schob der Sozialdemokrat hinterher. Doch ziemlich unwahrscheinlich ist, dass der Vermittlungsausschuss schon so schnell sein Kräftemessen wieder aufnimmt. Nach den letzten strapaziösen und ergebnislosen Marathonsitzungen zeigen Teilnehmer deutliche Ermüdungserscheinungen. Von beginnendem Gruppenkoller wird sogar berichtet.

Alles konzentriert sich jetzt erst einmal auf den Freitag, wenn es im Bundesrat zum großen Hartz-IV-Schwur kommt. „Absolut sicher“ ist sich zumindest Oppermann, dass alle Länder mit SPD-Ministern bei der Abstimmung „stehen“ werden. Doch nicht alle Sozialdemokraten möchten dafür die Hand ins Feuer legen. „Es ist eher wackelig“, lauten vorsichtigere Einschätzungen. Auch die Grünen sehen „ein Restrisiko“.

Der Opposition ist klar, dass die Koalitionsseite bis Freitag noch einiges unternehmen wird, um Länder mit weiteren Angeboten auf ihre Seite zu ziehen. Man werde niemanden herauskaufen, versichern Union und FDP zwar. Doch bei SPD und Grünen will man nicht einmal ganz ausschließen, dass Kanzlerin Angela Merkel womöglich bereits die entscheidende Zusage eines CDU-Ministerpräsidenten in der Tasche hat, um sich die eine fehlende Stimme im Bundesrat zu sichern. Dies wäre zumindest eine Erklärung für die Regieanweisung Merkels an die eigenen Unterhändler, ein vorläufiges Scheitern der Verhandlungen in Kauf zu nehmen.

Als unsicherer Kantonist gilt das von einer großen Koalition regierte Sachsen-Anhalt. CDU-Ministerpräsident Wolfgang Böhmer, der nach der anstehenden Landtagswahl ohnehin aufhören will, hätte deshalb wenig zu verlieren, wenn er einfach seinen SPD-Bündnispartner im Bundesrat einfach überstimmt. Und trotz anderslautender Beteuerungen wird in Berlin dem ebenfalls in absehbarer Zeit ausscheidenden CDU-Ministerpräsidenten Peter Müller trotz der Regierungsbeteiligung der Grünen an der Saar ein solcher Schritt durchaus zugetraut.

Tausch- und Koppelgeschäfte gehören bei unterschiedlichen Mehrheit im Bundestag und Bundesrat seit langem zum Alltag. Das Land geht vor Partei, darauf berufen sich Landespolitiker immer wieder, wenn sie die Vorgaben ihrer Berliner Parteiführungen in den Wind schlagen und sich für ihr Ausbrechen aus der Einheitsfront nicht selten großzügig belohnen lassen.

Nach diesem Muster erkämpfte sich SPD-Kanzler Gerhard Schröder im Sommer 2000 trickreich eine Mehrheit für die rot-grüne Steuerreform und damit einen seiner größten Erfolge nach der Wahl 1998. Zunächst zog Schröder damals den heutigen FDP-Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle, der damals noch mit Kurt Beck in Mainz regierte, auf seine Seite. Schließlich gewann Schröder auch den Senat unter Berlins Regierendem Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) für die rot-grünen Pläne. Geködert wurde die finanzschwache Hauptstadt mit der Zusage für eine Finanzspritze von 100 Millionen DM, unter anderem für die Sanierung der Museumsinsel und des Olympiastadions.

Von diesem Vorgehen besonders kalt erwischt wurden damals die CDU-Vorsitzende Merkel und Unions-Fraktionschef Friedrich Merz. Selbst in der Nacht vor der Abstimmung hatte Diepgen beiden beim Gespräch an einer Bonner Hotelbar nicht verraten, dass er längst schon dem Angebot Schröders zugestimmt hatte. Für Merkel wäre ein ähnlicher Coup beim Konflikt um Hartz IV am Freitag dafür zumindest eine späte Revanche.