Analyse: Gegner im Donbass träumen weiter vom „Endsieg“

Kiew (dpa) - Die in Minsk ausgehandelte Feuerpause ist für viele Ukrainer ein langersehnter Moment des Innehaltens nach den blutigen Kämpfen. Doch Beobachter sehen eher eine Atempause als eine echte Waffenruhe.

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Dröhnende Kriegsrhetorik belastet den Friedensprozess weiter.

Auf den Schlachtfeldern der Ukraine schweigen erstmals wieder die Waffen, doch die Konfliktparteien belauern sich weiter. Vom „Endsieg“ sprechen die prorussischen Separatisten, sie warnen die Zentralmacht vor Provokationen und drohen mit Vergeltung.

Martialische Geste auch in Kiew: Präsident Petro Poroschenko verkündet die Feuerpause demonstrativ in Militäruniform. Dies sei die „letzte Chance für den Friedensprozess“, und die wolle er nutzen. Doch zuvor droht er mit dem Kriegsrecht, sollte die Waffenruhe scheitern. Nach dem Verhandlungsmarathon mit Kanzlerin Angela Merkel im weißrussischen Minsk hängt das Schicksal der leidgeprüften Ukraine am seidenen Faden.

Bis zur letzten Minute vor Beginn der Feuerpause in der Nacht zum Sonntag bekämpfen sich Aufständische und Regierungstruppen im Donbass. Erneut sterben viele Menschen, ein unbedingter Wille zum Frieden ist nicht zu erkennen. „Nach mehr als 5000 Toten in zehn Monaten liegt das Vertrauen, dass der Gegner es mit der Aussöhnung ernst meinen könnte, längst in Trümmern“, kommentiert die ukrainische Zeitung „Serkalo Nedeli“. Das russische Blatt „Kommersant“ schreibt von der „Endstation Hoffnung“. Noch sei unklar, ob die Feuerpause ein erster Schritt hin zu einer Lösung sei - oder die letzte Chance.

Ein Scheitern der Waffenruhe könnte eine furchtbare Eskalation nach sich ziehen. Poroschenko würde wohl das Kriegsrecht verhängen, die USA könnten dann Waffen an die prowestliche Führung in Kiew liefern, und Russland würde sich an dem Konflikt möglicherweise mit regulären Truppen beteiligen - ein Horrorszenario, das das Minsker Abkommen im Handumdrehen zunichtemachen würde. Ein diplomatischer Kraftakt wie in Minsk lasse sich nicht so schnell wiederholen, warnt Außenminister Frank-Walter Steinmeier.

Zwar sollen dem Friedensplan zufolge beide Seiten ab heute dem Abzug schwerer Waffen aus dem Kriegsgebiet beginnen. Die Aufständischen lassen aber keinen Zweifel, dass sie keinen Deut in der Krise nachgeben wollen. „Jedes Stück unserer Erde ist mit unserem Blut begossen. Solange wir leben, wird uns niemand dieses Land nehmen“, sagt Separatistenführer Alexander Sachartschenko.

Nicht ohne Stolz erwähnt er, dass er deutsche Bundestagsabgeordnete getroffen habe. Es sind Wolfgang Gehrcke und Andrej Hunko (beide Die Linke), die Medikamente nach Donezk gebracht haben, weil die Region unter einer Wirtschaftsblockade der Regierung in Kiew leidet. „Wir sind mit ihnen herumgefahren“, sagt Sachartschenko. Es wirkt, als fühle er sich durch das Treffen mit den Parlamentariern aufgewertet. „Örtliche Autorität“, nennt Gehrcke den Separatistenführer auf seiner Homepage.

Immer deutlicher zeichnet sich ab, dass der strategisch wichtige Ort Debalzewo nordöstlich von Donezk zum Prüfstein der Minsker Vereinbarungen wird. Bis kurz vor Beginn der Feuerpause beschießen sich die Kriegsparteien bei dem Verkehrsknotenpunkt mit schwerer Artillerie. „Die Stadt brennt“, teilt Wjatscheslaw Abroskin vom Innenministerium mit. Tausende Regierungssoldaten sollen bei Debalzewo eingekesselt sein - „jeder Versuch, auszubrechen, wird unterbunden“, warnt Sachartschenko. Er sieht das Minsker Abkommen sowieso als „vage Zusammenstellung von Phrasen“.

Auch der Moskauer Experte Dmitri Trenin warnt davor, die Waffenruhe überzubewerten. Bestenfalls sei es eine Kampfpause, die jedoch wenig Hoffnung auf eine Versöhnung in der Ukraine und in Europa mache. Die Minsker Vereinbarungen würden, falls sie funktionieren, neue Teilungen zementieren - entlang der Frontlinie im Donbass und der Grenze zwischen der Nato und russischem Einflussgebiet, meint der Politologe vom Carnegie Center. „Das Abkommen wird nicht unbedingt eine weitere Eskalation verhindern, aber es könnte sie verschieben.“