Analyse: „Gott hat entschieden“ - seine Kardinäle auch

Rom (dpa) - Auf dem Petersplatz brach Jubel wie in einem Fußballstadion aus, ein Aufschrei ging durch die im Regen wartende Menge: Der 266. Papst ist gekürt.

Die Kardinäle in der Sixtinischen Kapelle brauchten fünf Wahlgänge, um denjenigen zu finden, der die katholische Weltkirche der 1,2 Milliarden Gläubigen aus ihren Krisen führen soll - auch in die Moderne des 21. Jahrhunderts, hoffen viele.

Den argentinischen Nachfolger des abgetretenen Benedikt XVI. empfingen die Begeisterung der Massen, geschwenkte Nationalfahnen und die überall in Italien läutenden Glocken. Er gilt als volksnah und schlicht, als resoluter Kämpfer gegen Armut und Korruption. Vor Jorge Mario Bergoglio, dem Jesuiten und Erzbischof aus Buenos Aires, liegt ein ganzer Berg von Problemen, seine katholische Kirche hat eine Reihe Baustellen.

„Gott hat schon entschieden“, hatte der kanadische Kardinal Marc Ouellet vor dem Einzug in das Konklave noch gesagt. Den Kardinälen musste also nur noch bewusstwerden, wer aus ihrer Runde ausgewählt ist. Dafür brauchten sie fünf Wahlgänge, eine nicht allzu große und eher „normale“ Anzahl von Urnengängen. Das Konklave vor acht Jahren, das Joseph Ratzinger zum Papst kürte, schaffte es in vier Wahlgängen. Manche Kardinäle und Vatikan-Kenner hatten den Donnerstag als Tag des weißen Rauches im Auge. Bei einem längeren Konklave hätte es wegen der stattlichen Reihe von Kandidaten eine Überraschung geben können.

Der Brasilianer Odilo Pedro Scherer und der Italiener Angelo Scola waren tagelang die Spitzenreiter der Spekulierer über den neuen Papst gewesen. Bergoglio tauchte immer dann schon auf, wenn viele Favoriten oder Außenseiter mit Chancen vorgestellt wurden. Ein Süd- oder Nordamerikaner oder aber ein Italiener, zwischen diesen sollte die Entscheidung hinter verschlossenen Türen fallen, hieß es. Lange waren US-Kandidaten die Favoriten, doch ein „Yankee“-Papst der Weltmacht USA wie Timothy Dolan galt vielen doch als zu heikel für die Kirche.

Benedikts Pontifikat war eines auch der tiefen Krisen, eines von Kritikern beklagten Reformstaus und der bürokratischen Pannen in Rom. Auf den 266. Pontifex wartet nach dem Rücktritt des Deutschen viel Arbeit, wobei er die Interessen der Gläubigen aller Kontinente im Auge behalten muss. Mehr Transparenz, mehr Kommunikation am Heiligen Stuhle selbst wie auch zwischen Rom und den Bischöfen in aller Welt - das sind Kurienreformen, die von den Purpurträgern in den Tagen vor dem Konklave als erforderlich in die Debatte gebracht worden sind.

So äußerten sich manche unzufrieden, weil über die schwerwiegende „Vatileaks“-Affäre um Dokumentenklau, Intrigen und Korruption hinter den Vatikanmauern doch nicht ausreichend diskutiert worden sei. Das galt nicht zuletzt für das umstrittene Finanzgebaren der Vatikanbank IOR. Dazu kommt noch das nachwirkende Beben des Missbrauchsskandals und das weiterhin ungeklärte, seit Jahren verhandelte Verhältnis der Mutterkirche in Rom zu den abtrünnigen erzkonservativen Pius-Brüdern.

Das alles muss der erste Papst aus Lateinamerika unter einen Hut zu bekommen versuchen: Fortschritte in der Ökumene, Lockerungen der Sexualmoral, eine stärkere Rolle der Frauen in der Kirche und die Zölibatsfrage bei den katholischen Priestern. Das sind einige der „europäischen“ Anliegen an den Nachfolger Benedikts.

Es ist dies aber eine Weltkirche der fünf Kontinente, und sie wächst in der südlichen Hemisphäre, während sie in der Alten Welt schrumpft. Drogenhandel, Gewalt, Korruption und Armut etwa sind heiße Eisen in Lateinamerika, die der neue Papst zum Weltjugendtag im Juli in Rio de Janeiro auf seiner womöglich ersten Auslandsreise gleich anpacken muss und wird.

In Afrika kommen islamistischer Hass und Aggression gegen Christen hinzu, und die Boom-Region Asien ist eine äußerst wichtige für eine Kirche, die noch wachsen will. Auf jedem Kontinent stehen Katholiken somit auch vor unterschiedlichen Problemen. „Regierungsfähigkeit“ in Rom und spirituelle Erneuerung nach den Skandalen sind bitter nötig.

Einen wirklich jungen Papst hat das Konklave also doch nicht hervorgebracht, aber den ersten nichteuropäischen seit dem 8. Jahrhundert. Das allein ist schon ein Ausrufezeichen für die bürokratisch erstarrte Kurie in Rom und für die Bedeutung der Kirche dort, wo sie noch aufblüht. Dass der erste Jesuit auf dem Petrus-Stuhl in seinem Heimatland in die Politik eingriff, kann die jetzt weit größere Aufmerksamkeit für Franziskus I. nur erhöhen: Er zog gegen die Homo-Ehe zu Felde, beklagte die „moralische Misere“. Ob er ein Reformer ist, muss sich noch zeigen. Zumindest ist er bekannt für klare Worte in doktrinären Fragen der Kirche, doch das war auch sein Vorgänger, der Bewahrer Benedikt.