Analyse: Griechen wundern sich
Athen (dpa) - Mit der überraschenden Ankündigung eines Referendums über das Griechenland-Rettungspaket hat Regierungschef Giorgos Papandreou nach Ansicht vieler Landsleute eine Zeitbombe gelegt. „In wenigen Wochen werden die Beschlüsse des EU-Gipfels in den neuen Darlehensvertrag eingeflossen sein“, erklärte der Sozialist.
„Wir müssen sagen, ob wir diesen annehmen oder ablehnen.“ Doch damit und mit der Absicht, sich im Parlament der Vertrauensfrage zu stellen, geht Papandreou nach Meinung politischer Kommentatoren ein hohes Risiko ein - bis hin zum Scheitern des Rettungspakets.
„Die Ankündigung hat jeden in Griechenland und in Europa überrascht. Sie wird als großes politisches Vabanquespiel Papandreous empfunden“, sagt Politikforscher Dimitris Katsikas von der griechischen Stiftung für Europa- und Außenpolitik. Seiner Ansicht nach will der Ministerpräsident auf diese Weise einen politischen Durchbruch schaffen. „Er versucht, das gesamte System auf seine Seite zu bringen und die Last der Umsetzung der Sparmaßnahmen auf mehrere Schultern zu verteilen.“ Mit der größten Oppositionspartei probiere er dies bereits seit Monaten vergeblich.
Schon seit Monaten wird der 59-jährige Regierungschef auch mit wachsender Gewalt auf den Straßen und Ablehnung in den eigenen Reihen konfrontiert. In einem Land, das sich seit vier Jahren in der Rezession befindet und eine Arbeitslosenquote von rund 17,5 Prozent aufweist, dürfe es keine weiteren Sparmaßnahmen geben, so der Tenor. Papandreou, dessen knappe Parlamentsmehrheit angesichts von Austritten zunehmend schrumpft, hat erklärt, dass er eine größere politische Unterstützung braucht, um die von den internationalen Geldgebern geforderten Maßnahmen umzusetzen.
Für Sony Kapoor, Geschäftsführer einer Wirtschafts-Denkfabrik, handelt es sich nur um eine neue Wendung der griechischen Tragödie. „Die Entscheidung ist gut für die Demokratie. Sie wird aber wahrscheinlich die Euro-Krise verschärfen, weil sie in einem empfindlichen Umfeld die Unsicherheit erhöht.“ Papandreou befinde sich in einer Zwickmühle. Mit einer unverantwortlichen Opposition, die den Wählern den Mond verspreche, sei es schwer vorstellbar, dass das Referendum angesichts der drastischen Sparmaßnahmen gewonnen werden könne. Entsprechend besagt eine am Wochenende veröffentlichte Umfrage, dass 60 Prozent der Griechen das neue Rettungspaket negativ sehen.
In der Öffentlichkeit wurde wegen des beabsichtigten Referendums - dem ersten seit fast 40 Jahren - auch Papandreou am Dienstag Mangel an Verantwortung vorgeworfen. Er setze die Zukunft Griechenlands aufs Spiel und riskiere sogar einen Staatspleite. „Die griechische Regierung hat bereits ihren politischen Bankrott erklärt“, schrieb etwa die Zeitung „Eleftherotypia“. „Das Land war bereits in Schwierigkeiten, mit der Volksabstimmung findet es sich nun am Rande des Abgrunds wieder.“
Aber auch eine andere Frage kam auf: Wird die Bevölkerung ausreichend darüber aufgeklärt werden, welche Auswirkungen es haben könnte, mit Ja oder Nein zu votieren?
„Wir haben fast 1,5 Millionen ältere Bürger, die nicht lesen und schreiben können. Und die Mehrheit der Einwohner versteht die komplizierten Zusammenhänge der Wirtschaft ohnehin nicht“, sagte Juwelier Stelios Athiniotakis im gehobenem Athener Kolonaki-Viertel. „Wie also kann die Regierung von ihnen erwarten, bei einem solchen Referendum abzustimmen?“ Taxifahrer Nikos Panagialas sieht das genauso. „Was hier auf dem Spiel steht, ist sehr kompliziert. Wie sollten wir also mit einem einfachen Ja oder Nein antworten?“
Der griechische Finanzminister Evangelos Venizelos, der am Tag nach der Ankündigung Papandreous mit Magenbeschwerden ins Krankenhaus kam, warnte: „Die Bürger werden die Frage beantworten müssen, ob wir für Europa, für die Eurozone und für den Euro sind.“