Europäer beim G20-Gipfel wieder unter Druck
Berlin/Cannes (dpa) - Der überraschende Vorstoß des griechischen Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou für eine Volksabstimmung über das Euro-Rettungspaket bringt die Europäer beim G20-Gipfel wieder in erheblichen Zugzwang.
Mit der dramatischen Kehrtwende, die auch die Regierungen in Paris und Berlin dem Vernehmen nach völlig unvorbereitet traf, falle kein gutes Licht auf das Krisenmanagement der Euro-Länder, hieß es am Dienstag in Koalitions- und Regierungskreisen in Berlin. „Die stehen jetzt ziemlich schlecht da.“
Eigentlich wollten Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy beim Treffen der Staats- und Regierungschefs der führenden Industrie- und Schwellenländer (G20) in Cannes an diesem Donnerstag und Freitag das Euro-Paket präsentieren. Am Montag hieß es in deutschen Regierungskreisen vor dem G20-Gipfel noch, die Euro-Länder hätten mit dem vergangene Woche geschnürten Lösungspaket gezeigt, dass sie handlungsfähig seien. Auch wollten die Euro-Länder für Modelle zur Stärkung des Rettungsschirms EFSF werben. Merkel und Sarkozy hatten das Paket maßgeblich vorangetrieben.
Der Plan Papandreous, das griechische Volk über die Finanzhilfen abstimmen zu lassen, dürfte die anderen Themen des G20-Gipfels wie die Finanzmarktregulierung nun wieder in den Hintergrund drängen. So wollen die G20 den Kampf gegen das ausufernde „Schattenbanksystem“ angehen. Dessen Umfang ist zwischen 2002 und 2010 von geschätzten 25 Billionen US-Dollar auf inzwischen 60 Billionen gewachsen. Angestrebt wird auch eine volle Einbeziehung von hochspekulativen Hedgefonds. Auf der G20-Tagesordnung stehen zudem die Reform des Währungssystems sowie schärfere Kapitalvorgaben für internationale Großbanken.
Deutschland pocht in der G20 auf eine schärfere Regulierung der Finanzmärkte. Nicht alle zu erwartenden Beschlüsse des Gipfels gingen weit genug, hieß es in Regierungskreisen. Dies betreffe unter anderem eine weltweite Finanztransaktionssteuer. „Danach sieht es im Moment für Cannes nicht aus.“ Die Mehrheitsverhältnisse seien nun einmal so wie sie sind. Unter anderem die USA und Großbritannien, aber auch Schwellenländer wie China und Indien lehnen die Abgabe bisher ab.
Washington beurteilt die Finanzsteuer weiter skeptisch. Die US-Regierung liege mit den Europäern zwar in dem Ziel auf einer Linie, dass die Finanzindustrie ihren „fairen Anteil“ an den Belastungen durch die Krise tragen und von riskanten Investments abgeschreckt werden müsse, sagte die Staatssekretärin im Finanzministerium, Lael Brainard. Aber man halte eine Gebühr auf die Verbindlichkeiten der größten Geldhäuser für die bessere Lösung. „Wir denken, dass dieser Ansatz besser funktioniert, statt den kleinen Investor zu belasten“, sagte sie.
Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) fordert eine Führungrolle der EU für die weltweite Einführung einer Transaktionssteuer. Sollte beim G20-Gipfel keine Lösung gefunden werden, müsse die EU alleine weiter vorpreschen, sagte er der „Financial Times“. Der Präsident der EU-Kommission, José Manuel Barroso, und der ständige EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy hatten zuvor in einem Brief an die G20-Chefs ebenfalls eine globale Finanztransaktionssteuer gefordert.
Internationale Großbanken sollen mittelfristig zusätzlichen Kapitalauflagen unterworfen werden. Davon betroffen seien zunächst 29 globale „systemrelevante“ Banken, hieß es in Regierungskreisen. Eine entsprechende Liste werde nach dem Gipfel veröffentlicht. Ähnliche Anforderungen an Versicherer und Investmentfonds würden folgen, ebenso eine Liste national „systemrelevanter“ Institute. Mit dem Extra-Zuschlag wollen die G20 vermeiden, dass eine Pleite von Finanzriesen den gesamten Markt in Turbulenzen stürzt.
In der Runde der Top-Wirtschaftsmächte will Berlin auch weitere Schritte zur Sanierung der Staatskassen anmahnen. Forderungen nach einer weiteren Aufstockung des Kapitals beim Internationalen Währungsfonds (IWF) erteilte Berlin erneut eine Absage. „Wir sehen keinen Bedarf für eine Ressourcenerhöhung beim IWF.“
China stellte Europa weitere Hilfe in Aussicht. „Alle Länder sitzen in einem Boot. Wir müssen zusammenhalten, damit sich Europa erholt“ sagte Chinas Handelsminister Chen Deming nach Angaben der Nachrichtenagentur APA am Montag in Wien. Staatspräsident Hu Jintao erklärte, China sei bereit, mit Europa zur Wiederbelebung der Weltwirtschaft zusammenzuarbeiten.