Analyse: Große Not, kleine Lösung
Berlin (dpa) - Für Philipp Rösler begann der wichtigste Termin seines politischen Lebens vor verschlossenen Türen. Auf dem Weg zur entscheidenden FDP-Sitzung, Präsidialebene des Reichstags, Raum N024, bog er am Dienstag falsch ab und landete in einer Sackgasse.
Er musste umkehren und noch ein Mal 25 Meter durchs Blitzlichtgewitter. Eine Tür weiter und anderthalb Stunden später konnte Rösler dann aber doch offiziell machen, was zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon jeder wusste - dass er anstelle von Guido Westerwelle der neue starke Mann der FDP werden wird. Die zwei Dutzend Präsidiumsmitglieder und Landesvorsitzende spendierten großen Applaus.
Vielleicht mag der 38-Jährige zwischendurch aber doch noch etwas ins Grübeln gekommen sein. Die Krisensitzung wurde zu einer schonungslosen Bestandsaufnahme über den Zustand der FDP am Ende der Ära Westerwelle. Der seit Monaten angestaute Frust über den bisherigen Parteichef entlud sich noch einmal mit voller Wucht.
Die Not bei den Liberalen ist so groß wie nie. Trotzdem entschied sich Rösler nur für die kleine Lösung. Zwar zwang er Westerwelle dazu, neben dem Parteivorsitz auch den Titel als Vizekanzler abzugeben. Auf eine Neuverteilung der FDP-Ministerposten im schwarz-gelben Kabinett verzichtete er jedoch. Alles bleibt, wie es ist - zumindest zunächst einmal.
Rösler behält das Gesundheitsministerium, und der Wirtschaftsminister wird weiterhin Rainer Brüderle heißen. Der 65-Jährige hatte vor der anstehenden FDP-Runderneuerung als schwer gefährdet gegolten. Auf eine Kampfabstimmung wollte sich Rösler aber nicht einlassen. Brüderle strahlte nach Ende der Sitzung deutlich mehr als er.
Deshalb waren Röslers Leute auch sofort damit beschäftigt, den Verzicht auf einen weiteren Machtkampf keineswegs wie eine erste Schwäche des künftigen Parteichefs aussehen zu lassen. Rösler müsse jetzt daran interessiert zu sein, die FDP hinter sich zu einen. Außerdem könne er sich im Gesundheitsministerium auf einen eingespielten Apparat verlassen. Wenn er neben der Partei auch noch ein neues Ministerium übernommen hätte, wäre das anders geworden.
Das Festhalten an der bestehenden Kabinettsliste hilft aber auch einem anderen weiter: Westerwelle. Seit sein Abgang von der FDP-Spitze feststeht, mehrten sich in der Partei die Stimmen, dass er auch das Auswärtige Amt räumen muss. Von den 16 Landesvorsitzenden wagte sich am Dienstag aber nur einer aus der Deckung, der Berliner FDP-Chef Christoph Meyer.
Westerwelle reagierte hart: „Dann muss jemand gegen mich kandidieren. Ich habe nicht vor, mich aufs Altenteil zu begeben.“ Die Antwort war Schweigen. Trotzdem bekam der Noch-Chef gleich darauf eine Ahnung davon, wie sich das Leben für ihn verändern wird. Beim Verlassen des Sitzungssaals waren alle Kameras auf Rösler gerichtet. An Westerwelle gab es keine Fragen mehr.