Analyse: Grüne im Jubel - mit einer Spur Trotz
Berlin (dpa) - Mit einer Spur Trotz schwimmt Renate Künast auf einer Welle des Jubels. „Berlin will doch eine Veränderung“, ruft sie den Anhängern im proppevollen Festsaal Kreuzberg zu.
Demnach hätte sie als Anwärterin auf den Chefsessel im Roten Rathaus gar nicht so viel falsch gemacht im Wahlkampf, in dem Künast Visionäres versprochen hat - und dann mit den Grünen, statt wie einst erhofft bei rund 30, nur bei etwa 18 Prozent gelandet ist.
„Wir haben noch mehr gewollt“, ruft sie gegen den anbrandenden Applaus auf der Grünen-Wahlparty an. Nicht alle Ziele seien erreicht. „Aber wir bleiben dran.“ Kurz darauf betont sie in einem ersten Fernsehinterview mit Blick auf Wunschpartner SPD: „Das darf nicht nur Rot-Grün heißen, da muss auch grüne Politik drin sein.“ Parteichefin Claudia Roth fordert im Festsaal: „Da muss jetzt die SPD ganz klar sagen: Ist sie bereit, auch ein Signal in Richtung 2013 zu senden, dass sie Schwarz-Gelb auch im Bund ablösen will?“
Ist es nicht ein grünes Debakel? Trotz des Plus um fünf Punkte auf rund 18 Prozent? Wer hätte vor Monaten gedacht, dass die Grünen so weit hinter der Berliner CDU landen? Spannend wird nun, ob den Grünen diesmal die Demütigung von 2006 erspart bleibt, als sie der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) bei der Auswahl seines Koalitionspartners schnöde zugunsten der Linken überging.
Kommt es wie erwartet zu Rot-Grün, ist es für den kleinen Berliner Landesverband eine späte Genugtuung. Immer waren die Grünen stark in Berlin. Trotzdem war die Partei hier nie eine ernstzunehmende Regierungskraft. 1990 platzte eine erste rot-grüne Koalition nach weniger als zwei Jahren, 2001 dienten die Grünen nur einige Monate in einem Übergangssenat als Steigbügelhalter für Wowereit. Unter der Oppositionsrolle litten die Berliner Grünen.
Sie fürchten die traditionelle Übermacht der SPD in Berlin und eine immer noch geschwellte rote Brust. Auf Augenhöhe will man verhandeln und regieren. Da gilt es, jeglichen Verdacht auf Enttäuschung zu vermeiden - auch wenn Berliner Grünen-Strategen lange Gesichter machten, als sie das erste Mal die Zahlen hörten. Künast legt die Messlatte hoch: „Da muss Bewegung sein, bei den Mieten, bei der Bildung und bei den Jobs.“ Klein machen will sie die gewachsenen Grünen auf keinen Fall: „Da darf sich die befreundete Konkurrenz von der SPD jetzt überlegen, mit wem sie denn gerne möchte.“
Kommen die Grünen - wenn es klappt - wegen oder trotz Künast in die Regierung? Viel war in den vergangenen Wochen davon zu lesen, dass ihr Inhaltskurs am Herz der Berliner vorbeiziele. Der Berliner Fraktionschef Volker Ratzmann baut vor: „Du hast es geschafft, dass wir in eine andere Liga aufgestiegen sind.“ Künast dürfte nun mitsondieren in der Hauptstadt - und sich dann um ein möglichst gutes Ergebnis bei der Bestätigung als Fraktionschefin im Bundestag Mitte Oktober bemühen. Der alte und neue starke Mann der Berliner Grünen heißt Ratzmann - im Bund ist wohl bald noch ein bisschen mehr Raum für Co-Fraktionschef Jürgen Trittin.