Analyse: Haare schneiden für 4,99 Euro
Kiel (dpa) - Wer einen Geschenkgutschein „Für Vati, Mutti oder Mausi“ (Fensterwerbung) sucht, kann bei der Friseurkette Coco in der Kieler Innenstadt schon mit 4,99 Euro hinkommen.
So viel kostet jedenfalls ein „Herrenhaarschnitt trocken“, für Kinder bis 6 Jahre reichen sogar 4,40 Euro. Wie lässt sich damit kalkulieren und ein Lohn zahlen, der zum Leben reicht?
In der Filiale will niemand offen sprechen. Nur so viel: „Wenn wir heute etwas sagen, sind wir morgen unseren Job los.“ Und: „Das Geld reicht nie, es ist immer zu wenig.“ Marion Geinz von der Unternehmensführung sagt freundlich am Telefon, dass sie die Debatte um Mindestlöhne nicht kommentieren wolle. „Es herrscht in der Branche vielfach eine Mauer des Schweigens“, weiß Dieter Altmann vom Verdi-Landesbezirk Nord. In Kiel wurde am Montag erstmals ein Flächenvertrag mit der Friseurinnung für Schleswig-Holstein unterschrieben. In anderen Bundesländern wie Bayern und Nordrhein-Westfalen gibt es bereits Tarifverträge.
Der Gewerkschafter freut sich über die zufällig parallel entbrannte Mindestlohn-Debatte. Zugleich aber möchte er den neuen Tarifvertrag damit nicht verknüpft sehen, auch wenn die unterste Entgeltstufe mit 6,00 Euro Stundenlohn (bis 2013 auf 7,51 Euro steigend) noch unter dem Mindestlohn liegt, wie er jetzt der CDU vorschwebt. „Wir wollten den Friseuren nicht das Wasser abgraben, denn die kannten im Norden bisher keine Tarifverträge“, sagt fast ein wenig verlegen Landesinnungsmeister Hartmut Klotz. Trotz der „sehr moderaten“ Stundenlöhne habe es über vier Jahre Kampf gebraucht, um den Vertrag in der Innung überhaupt durchzusetzen.
Eine Friseuse in einem Salon in Kronshagen bei Kiel, die ihren Namen nicht gedruckt sehen will: Seit 24 Jahren arbeitet die Gesellin, schneidet und wäscht Haare, 37 Stunden in der Woche und kommt im Monat „auf etwas über 1000 Euro brutto“. Die 42-Jährige hätte lange Anspruch auf soziale Hilfen wie Wohngeld gehabt, „aber das möchte man doch nicht in Anspruch nehmen“. Seit einem Jahr ist sie verheiratet. Ihr jährlicher Rentenbescheid wies zuletzt etwas über 500 Euro aus - „vorausgesetzt ich arbeite bis 65“.
Üble Praktiken in der Friseurbranche sind Landesinnungsmeister Klotz zu Ohren gekommen. So soll eine Kette, die unter fünf Euro fürs Haareschneiden nimmt, von ihren Mitarbeitern 100 Euro Tagesumsatz gefordert haben. War der erreicht, hätten die Mitarbeiter die Hälfte behalten dürfen. War das Ziel verfehlt, habe es gar keinen Lohn an dem Tag gegeben. Als niedrigsten ihm bekannten Stundenlohn nennt Klotz jene 3,58 Euro, die vor etwa einem Jahr in einem Salon in Lübeck gezahlt wurden.
Gewerkschafter Altmann weiß von einer Meisterin in Mecklenburg-Vorpommern, die fünf Euro je Stunde bekommt „und dennoch glücklich ist, weil sie überhaupt einen Job in ihrem geliebten Beruf hat“. In Nordrhein-Westfalen betrug laut Altmann in einem Fall der „Lohn“ 1,45 Euro je Stunde - „das waren aber Ungelernte“. Wie bizarr die Branche tickt, macht Klotz an einem anderen Beispiel deutlich: Eine große, in Ost und West tätige Friseurkette wollte den Stundenlohn um einen Euro anheben. „Doch Mitarbeiter in Thüringen wollten das nicht, weil sie dann nicht mehr ihr Gehalt über staatliche Hilfen hätten aufstocken können.“
Genaue Zahlen kann Verdi nicht nennen. Doch Altmann schätzt, dass etwa 50 Prozent der allein verdienenden Vollzeitbeschäftigten im Friseurhandwerk Anspruch auf staatliche Hilfen haben. Nach seiner Ansicht wäre ein gesetzlicher Mindestlohn das Beste.
Doch wie sollten viele Friseure diesen zahlen können? Kunde Georg (49) räumt ein, das er natürlich allein wegen des günstigen Preises für 4,99 Euro in den Kieler Salon gekommen ist. Dieter (53) findet den Preis extrem günstig und mit Blick aufs Personal kaum kalkulierbar: „Deshalb gebe ich ein höheres Trinkgeld als sonst.“