Analyse: Hauptzahler und Hauptempfänger
München/Berlin (dpa) - Immer auf Berlin. Wenn Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) und die Bayern gegen den Länderfinanzausgleich mobil machen, dann zeigen sie dabei immer mit dem Finger auf die Bundeshauptstadt.
Ganz nach dem Motto: Seht her, dort wird unser Geld verprasst. Tatsächlich musste Bayern vergangenes Jahr rund die Hälfte des Finanzausgleichs schultern - und Berlin kassierte auf der anderen Seite fast die Hälfte der Gesamtsumme. Ein vergleichender Blick auf Bayern und Berlin zeigt die großen Unterschiede - und Gründe dafür:
BAYERN feiert sich seit mehreren Jahren für seinen ausgeglichenen Haushalt ohne Neuverschuldung - wobei der Schuldenstand nach der Zehn-Milliarden-Euro-Finanzspritze für die BayernLB Ende 2008 auf mehr als 32 Milliarden Euro anwuchs. Das wurde aber damals in ein Sonderkapitel des Etats ausgegliedert. Inzwischen nimmt der Freistaat nicht nur keine neuen Schulden auf, sondern zahlt auch welche zurück: In diesem Jahr wird die erste Milliarde zurückgezahlt, in den kommenden beiden Jahren zusammen die nächste Milliarde. Die Pro-Kopf-Verschuldung sinkt damit bis Ende 2014 auf 2424 Euro, die Haushaltsreserven sollen dann bei knapp 2,3 Milliarden Euro liegen.
BERLIN ist derzeit mit rund 63 Milliarden Euro verschuldet. Die Pro-Kopf-Verschuldung lag Ende 2011 bei rund 18 100 Euro pro Einwohner. Für Zinsen muss Berlin rund 2,3 Milliarden Euro pro Jahr ausgeben. Der Senat (erst rot-rot, jetzt rot-schwarz) fährt seit 2001 einen strikten Konsolidierungskurs, um den Schuldenanstieg zu begrenzen. Dabei gelang es 2007 und 2008 vor der Finanzkrise, erstmals seit 1949 zwei ausgeglichene Haushalte vorzulegen. Berlins Ausgaben stiegen von 2001 bis 2011 im Durchschnitt nur um 2,4 Prozent - auch wegen eines rigorosen Personalabbaus: In den vergangenen 20 Jahren wurde das Personal im öffentlichen Dienst von 207 000 (1991) auf heute 106 000 halbiert. 2016 sollen es nur noch 100 000 öffentlich Beschäftigte sein. Im aktuellen Doppelhaushalt 2012/13 liegt die Nettokreditaufnahme zusammen bei 1,4 Milliarden Euro.
BERLIN ist allerdings auch die einzige Stadt in Deutschland, die nach der deutschen Einheit zusammenwachsen musste. Das Land hatte plötzlich alles doppelt und dreifach: etwa zwei große Zoos, drei Opern, drei Universitäten und viele Hochschulen und Theater, zudem einen in beiden Stadthälften aus politischen Gründen aufgeblähten öffentlichen Dienst. Außerdem musste das entlang der Mauer auseinandergerissene Straßen- und Verkehrsnetz wieder zusammengeführt werden. Aus politischen Gründen hat der Berliner Senat außerdem von 1996 an gleichen Lohn in West und Ost im öffentlichen Dienst gezahlt. Die marode Infrastruktur in Ost-Berlin musste saniert werden. Durch all diese Besonderheiten ist der Schuldenstand Berlins von 11,2 Milliarden Euro im Jahr 1991 auf aktuell 63 Milliarden gestiegen.
BAYERN musste, um den ausgeglichenen Haushalt zu erreichen, einen harten Sparkurs über sich ergehen lassen - Stoiber & Co. mussten damals wütende Kritik einstecken. Inzwischen aber, da es Bayern finanziell immer besser geht, kann die Staatsregierung gezielt investieren: in die Bildung, in die Hochschulen, in die Energiewende. Und der Freistaat erhebt zwar weiter Studiengebühren - er übernimmt aber nun schrittweise die Kosten für das letzte Kindergartenjahr.
BERLIN hat ganz andere Probleme als Bayern: Beispielsweise ist Berlin auch die Hauptstadt der Hartz-IV-Empfänger und der dadurch bedingten Kinderarmut. Jedes dritte Kind gilt als arm. Deshalb werden in Berlin Studien- und Kitaplätze kostenlos angeboten, und es gibt ein vom Land subventioniertes Sozialticket im öffentlichen Nahverkehr sowie einen Berlin-Pass für Hartz-IV-Empfänger mit günstigen Eintrittskarten. Weitere Schwerpunkte legt der Senat auf die Förderung zukunftsorientierter Industrien, auf Kultur und Wissenschaft. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hat auch immer wieder betont, dass kein Bundesland einem anderen vorschreiben könne, wo es seine politischen Schwerpunkte setze.