Analyse: Karstadt schockt Mitarbeiter
Essen (dpa) - Bei Karstadt regiert der Rotstift. Das Management des Warenhauskonzerns plant überraschend tiefe Einschnitte beim Personal. Von den 25 000 Arbeitsplätzen werden 2000 bis Ende 2014 gestrichen - ein Schock für die Belegschaft.
Viele Verkäuferinnen haben die Hiobsbotschaft zuerst in den Nachrichten gehört. Drei Jahre nach der Karstadt-Pleite geht in den Filialen wieder die Angst um den Arbeitsplatz um. Konzernchef Andrew Jennings versucht zu beruhigen. Seine Worte zeigen aber auch, der Konzernumbau ist ein langer Weg.
„Wir müssen das erstmal alle verarbeiten“, sagt eine Mitarbeiterin in einer Essener Karstadt-Filiale. Man müsse abwarten, wen es trifft. „Es ist traurig“, meint auch eine Aushilfskraft. Ihren unmittelbaren Vorgesetzten will sie nichts vorwerfen, denn gegen die „Bestimmung von oben“ seien auch die Filialleiter machtlos. Dennoch hätte man die Mitarbeiter über die Streichungen zunächst intern informieren sollen. „Wir wissen am wenigsten, das ist wahrscheinlich immer so. Wer im brennenden Haus steht, der kriegt es am wenigsten mit“, beklagt sie.
Nach der Rettung des traditionsreichen Warenhausunternehmens 2010 durch den amerikanischen Investor Nicolas Berggruen kehrte Karstadt zum Alltagsgeschäft zurück. Sein Vertrauter, der Warenhausexperte Jennings, hat viele Ideen. Das Konzept des Briten sieht vor, das Sortiment mit neuen Marken aufzuwerten. Die Modeabteilungen werden verstärkt und die Unterhaltungselektronik verkleinert. Für die Modernisierung der Häuser sind bis 2015 rund 400 Millionen Euro vorgesehen, davon wurden bisher rund 160 Millionen investiert.
Für Otto Normalverbraucher klingt das nach richtig großen Summen. Für Warenhausexperten und die Gewerkschaft aber nicht. Statt Stellen zu streichen, müssten die Unternehmensführung und Investor Berggruen mehr Geld in die Modernisierung investieren, forderte Verdi umgehend. So rechnete Fachbereichsleiter Arno Peukes am Dienstag in Hamburg vor, dass die Karstadt-Beschäftigen durch den vereinbarten Verzicht auf Tarifleistungen in den vergangenen drei Jahren insgesamt die Summe von 150 Millionen Euro ins Unternehmen investiert habe.
Gemeint ist der Sanierungstarifvertrag, der Abstriche beim Weihnachts- und Urlaubsgeld vorsah. Diese Regelung läuft nun Ende August aus. Karstadt kehrt zum Flächentarifvertrag zurück. Erstmals seit sechs Jahren würden wieder die vollen Sonderzuwendungen gezahlt. „Unsere Mitarbeiter können sich jetzt aber auf wieder höhere Gehälter freuen“, sagte Jennings im Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Dienstagausgabe). Nach seinen Angaben entspricht das für jeden Karstadt-Mitarbeiter eine Entgeltsteigerung um 8 Prozent.
Wer Ware verkaufen wolle, brauche dazu Mitarbeiter, betont Verdi- Vertreter Peukes. „Deswegen kann eine erfolgreiche Neuausrichtung nur mit dem Personal und nicht ohne die Beschäftigten gelingen.“ Eine Befürchtung, die auch anderenorts in ähnlicher Weise zu hören ist. Wenn durch eine Frühpensionierung ältere Mitarbeiter bald zu ihrer letzten Schicht anträten, litten darunter auch ältere Kunden, meint eine Karstadt-Mitarbeiterin in Essen. „Das betrifft unsere älteste Kundschaft.“ Ältere Menschen ließen sich lieber von Gleichaltrigen beraten, weil diese sich mehr Zeit nehmen würden, schildert sie.
Kritiker halten dem Karstadt-Chef vor, es gebe nach wie vor keine Nobelmarken, kein besonderes Shoppingerlebnis und auch keine klare Positionierung. Warenhausketten wie LaFayette oder Printemps in Frankreich stünden für Luxus. Debenhams in Großbritannien hat sich auf eine weibliche Kundschaft spezialisiert mit Mode, Accessoires, Heimtextilien, Kosmetik. Auch Marks & Spencer hat sein angestaubtes Image inzwischen abgelegt. Michael Gerling, Chef des arbeitgebernahen Handelsinstitutes EHI sieht Karstadt dagegen mit den Veränderungen im Warensortiment und in der Warenpräsentation auf einem guten Weg.