Analyse: Kaum Proteste gegen Volkszählung

Berlin (dpa) - Wolfgang Wieland kann sich an die Volkszählung 1987 noch gut erinnern. „Es gab damals eine breite Boykottbewegung“, erzählt der Grünen-Politiker. So tapezierten Gegner mit tausenden unausgefüllten Fragebögen die Berliner Mauer.

Die Polizei durfte nicht eingreifen, denn das Gelände gehörte schon zur DDR. „Ich denke, dieser Boykott hat bis heute gewirkt. Die Bundesregierung traut sich eine solche Zählung nicht“, meint Wieland. Am 9. Mai startet nun der Zensus 2011. Für Wieland ist das eine „Volkszählung light“.

Dabei werden nicht mehr alle Bürger befragt, sondern nur ein Drittel der rund 80 Millionen Menschen kommen mit dem Zensus direkt in Berührung. Einen Fragebogen bekommen zehn Prozent der Einwohner - die zufällig ausgewählt werden - sowie alle Eigentümer von Häusern und Wohnungen. Auch in Gemeinschaftsunterkünften wie Wohnheimen und Gefängnissen wird gefragt. Jedoch fließen die Daten sämtlicher Bürger aus den Registern der Kommunen und der Bundesagentur für Arbeit ein. Die ersten Ergebnisse sollen Ende 2012 vorliegen.

Der Zensus 2011 geht zurück auf eine Verordnung der Europäischen Union. Doch auch ohne sie wäre die Zählung dringend nötig gewesen, wie der Vorsitzende der unabhängigen Zensus-Kommission und Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Gert Wagner, sagt. „Das Hauptziel besteht darin, die genaue Zahl der Bevölkerung festzustellen.“ Danach richtet sich nicht nur der Finanzausgleich, sondern auch, wie viele Sitze ein Bundesland im Bundesrat bekommt. „Wir schätzen, dass in Deutschland mehr als eine Million Menschen weniger leben als wir im Moment glauben“, sagt Wagner. Denn beim Umzug braucht man sich beim Amt nicht abzumelden.

1983 verwarf das Bundesverfassungsgericht die Fragebögen zur damals geplanten Volkszählung, dann boykottierten viele Bürger 1987 die Erhebung mit den überarbeiteten Fragen. Auch gegen den Zensus 2011 zogen Bürgerrechtler und Datenschützer vor das Karlsruher Gericht. Dort mussten sie aber eine schwere Niederlage einstecken. Das Bundesverfassungsgericht nahm die Beschwerde des „Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung“ nicht zur Entscheidung an. Begründung: Die Beschwerdeschrift erfülle nicht die Mindestanforderungen. Das Gericht bemängelte, dass sich die Beschwerde gegen das gesamte Zensus-Gesetz und nicht gegen konkrete Einzelbestimmungen richte.

Wie viele Personen leben in Ihrer Wohnung? In welcher Branche arbeiten Sie? Welchen Schulabschluss haben Sie? Das sind Fragen auf dem zehnseitigen Bogen für die Haushaltsbefragung. Wer angesprochen wird, muss teilnehmen - wer sich weigert, dem droht ein Zwangsgeld. Der „Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung“ kritisiert unter anderem, dass auch Fragen gestellt werden, die über den von der EU geforderten Umfang hinausgehen - zum Beispiel zum Migrationshintergrund und zur Religion, wenngleich diese Frage freiwillig beantwortet werden kann. Zudem fürchtet der Arbeitskreis, dass mit den zusammengetragenen Daten konkrete Rückschlüsse auf den einzelnen Bürger möglich sind.

Die Grünen haben dem Zensusgesetz im Bundestag nicht gestimmt. Wieland kritisiert die Frage nach der Religionszugehörigkeit und hält auch die Frage zum Geburtsort für nicht notwendig und diskriminierend, da damit festgestellt werden soll, wie viele Menschen ausländische Wurzeln haben.

Das Statistische Bundesamt weist die Sorgen um den Datenschutz zurück. „Sie können davon ausgehen, dass alle, die mit diesem Prozess beteiligt sind, wissen, wie sensibel die Daten sind“, sagt Abteilungspräsidentin Sabine Bechtold.

Trotz allen Einwänden hält Wieland diese aber nicht für so gravierend, dass man wie in den 1980er Jahre zum Boykott aufrufen müsste. „Das ist eine Volkszählung light mit Datenschutzmängeln.“ Eine „Katastrophe“ wie die Zählung 1987 sei der Zensus aber nicht.