Analyse: „Keulenschlag“ aus NRW für die Kanzlerin
Berlin (dpa) - Es ist ein Schlag für die Kanzlerin. Rot-Grün gewinnt die kleine Bundestagswahl in NRW. Und während die FDP wie Phönix aus der Asche steigt, ist es bei der CDU umgekehrt. Schwarz-Gelb findet nicht zu gemeinsamer Stärke.
Das sind die Signale vor der Wahl im Bund.
Peter Altmaier starrt auf den Bildschirm. Gleich wird der gewichtige CDU-Mann von einem „Keulenschlag“ für die CDU sprechen. Bei der Prognose für das Ergebnis der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen will der schwarze Balken für die CDU einfach nicht höher steigen. Nicht einmal in die Richtung von 30 Prozent.
Es wird ein ganz schwarzer Abend für die CDU von Kanzlerin Angela Merkel. Die Christdemokraten, die sich in der Parteizentrale in Berlin versammelt haben, klatschen genau zweimal: Als angezeigt wird, dass es die FDP klar in den Landtag geschafft hat und dass die Linke klar hinausgeflogen ist. Wenige Minuten später ist Spitzenkandidat Norbert Röttgen als CDU-Landeschef in NRW zurückgetreten.
CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe verteidigt ihn dann aber schnell als Bundesumweltminister. Nein, Auswirkungen auf die politische Gestaltung der CDU in Berlin seien nicht zu erwarten und Röttgen werde die Energiewende vorantreiben, beteuert Gröhe. Jetzt bloß nicht das Feuer auf die Bundesregierung übergreifen lassen.
Gröhe versucht, Schaden von der Chefin abzuhalten. Hatte Röttgen kurz vor der Wahl erklärt, in NRW werde auch über die Euro-Politik der Kanzlerin abgestimmt, sagt Gröhe nun: Die Bürger der Bundesrepublik unterstützten den Sparkurs der Kanzlerin. „Das ist unabhängig von diesem schmerzhaften Ergebnis dieser Landtagswahl.“
Das bestätigt eine Umfrage von Infratest dimap für die ARD, wonach 82 Prozent der Befragten meinten, der Kurs der Kanzlerin in der Euro-Schuldenkrise sei nicht ausschlaggebend für die Wahlentscheidung in Nordrhein-Westfalen, sondern die Situation in NRW selbst.
Eine Landtagswahl im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW gilt aber traditionell als kleine Bundestagswahl. 2005 läutete der damalige Sieg der CDU in Düsseldorf auch das vorläufige Ende der rot-grünen Ära im Bund ein. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) rief Neuwahlen im Bund aus. Nun wollen SPD und Grüne den Spieß umdrehen.
Merkel will die Legislaturperiode aber bis 2013 durchziehen. Und sie will von einem NRW-Signal für den Bund nichts wissen. In der vorigen Woche hatte sie vorsorglich diese Position bezogen: „Die Wahl (...) ist eine wichtige Landtagswahl für Nordrhein-Westfalen, nicht mehr und nicht weniger.“
Diese Wahl zeigt aber vor allem, dass es in der Politik keinerlei Garantien gibt. Noch vor wenigen Wochen wurde der FDP nicht der Hauch einer Chance auf einen Wiedereinzug in den Landtag gegeben. Die CDU sah sich mit Röttgen als ihrem Hoffnungsträger mit Kanzlerpotenzial noch in der Position, Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) den Posten streitig zu machen. Nun ist die FDP oben auf, die CDU bei vielen unten durch und Röttgen der große Verlierer.
Der sonst so analysierende und wenig emotionale CDU-Politiker sagt zu seiner Niederlage: „Sie tut richtig weh.“ Merkel ist nun einen weiteren möglichen parteiinternen Konkurrenten los. Viele bleiben nicht mehr. Aber ihr Aufgabenkatalog ist noch dicker geworden.
Sie muss ihre Partei wieder aufbauen, die Koalition mit der wieder erstarkten FDP durch schwierige Abstimmungsprozesse zum Betreuungsgeld, zur Vorratsdatenspeicherung und zur EU-Finanzpolitik steuern und international ihre Finanzpolitik verteidigen. An diesem Dienstag kommt Frankreichs neuer Präsident François Hollande nach Berlin. Ein Sozialist, der auf Merkels Abwahl im nächsten Jahr setzt.
Bei der SPD könnte Krafts glänzendes Ergebnis die parteiinterne Debatte um die Kanzlerkandidatur neu anheizen nach dem Motto: „Wenn drei sich streiten freut sich die vierte.“ Weder SPD-Chef Sigmar Gabriel noch die SPD-Ex-Bundesminister Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier können einen ähnlichen Wahlerfolg vorweisen. Kraft gegen Merkel wäre das erste Duell zweier Frauen um das Kanzleramt in der Geschichte der Bundesrepublik.
Und wenn es auch im Bund mit den aufstrebenden Piraten ein Sechs-Parteien-Parlament geben sollte, ist eine große Koalition derzeit wahrscheinlicher als ein anderes Zweierbündnis.