Analyse: „Kraftakt“ in NRW versetzt SPD in Siegestaumel
Berlin (dpa) - Ungewöhnlich früh breitete sich eine Bombenstimmung in der Berliner SPD-Zentrale aus. Die zahlreichen Gäste wurden vor der Tür mit Currywurst versorgt und von einem weiblichen Blasorchester eingestimmt.
Bereits vor Schließung der Wahllokale in NRW hatte sich am Sonntag bei den meisten herumgesprochen, dass für SPD-Verhältnisse diesmal ein selten gewordener Triumph zu feiern war.
Der tosende Jubel wollte kaum enden, rote SPD-Fahnen wurden geschwenkt, als um 18.00 Uhr die Prognosen für die NRW-Wahl über die Bildschirme flimmerten. Zahlreiche SPD-Anhänger, darunter nicht wenige mit schwarz-gelben Schals von Borussia Dortmund, erlebten den zweiten Siegesrausch in kurzer Folge nach dem Pokalgewinn des Ruhrgebietsclubs am Vorabend.
Eine ähnliche Begeisterung im Willy-Brandt-Haus hatte es zuletzt vor 14 Monaten gegeben, als Olaf Scholz in Hamburg für die SPD die absolute Mehrheit holte. Seitdem hatten eher durchwachsene Wahlergebnisse die SPD spürbar verunsichert. Auch deshalb blickte die im Obergeschoss versammelte Parteispitze zunächst mit viel Nervosität auf die seit dem Nachmittag einlaufenden Vorhersagen aus dem bevölkerungsreichsten Bundesland.
Doch als klar war, dass die SPD nach zwölf Jahren mit deutlichem Abstand dort wieder stärkste Partei sein würde, sank der Blutdruck bei den Berliner Akteuren. Sie hatten ihre ganze Hoffnung in den letzten Wochen darauf gesetzt, endlich wieder einmal mit eigener Stärke überzeugend punkten zu können. Und dazu noch ein Signal dafür zu geben, dass Rot-Grün durchaus möglich bleibt. Zumindest für NRW gingen beide Wünsche am Sonntag überraschend glatt in Erfüllung.
Bereits in den ersten Reaktionen wurde deutlich, wie die SPD-Bundesspitze nun mit diesem Erfolg umgehen will. Rückenwind für 2013, diese Formulierung ließ kaum ein Spitzengenosse aus. Bereits am Dienstag wollen die drei Kanzler-Aspiranten gemeinsam zur Offensive blasen. Beim Auftritt vor der Berliner Presse wollen Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück der Kanzlerin mit gewachsenem Selbstbewusstsein ihre Bedingungen für die Zustimmung zum europäischen Fiskalpakt präsentieren.
Dabei dürfte deutlich werden, welche Gangart die SPD beim Umgang mit der Regierung einschlagen wird. Gabriel macht spätestens seit dem Wahlsieg des französischen Sozialisten François Hollande keinen mehr Hehl daraus, dass ihm die offene Konfrontation mit Angela Merkel am liebsten wäre. Steinmeier und Steinbrück, die eher auf Besonnenheit beim Thema Europa setzen, stoßen damit zunehmend auf Widerspruch nicht nur beim linken Parteiflügel. Die SPD dürfe sich nicht länger „im Schlafwagen“ auf eine große Koalition nach 2013 zubewegen, fordern aber auch pragmatische Parteifreunde.
Doch auch der Sieg in NRW ändert kaum etwas daran, dass die SPD noch nach zündenden Rezepten sucht, um Merkel in 16 Monaten aus dem Amt zu treiben. Bislang ist der Führung eher wenig dazu eingefallen, wie man die eigene Anhängerschaft richtig mobilisieren kann.
Auch die Frage nach dem Kanzlerkandidaten dürfte ab sofort verstärkt für Unruhe sorgen. Mit einiger Sicherheit werden schon bald Rufe einer Troika-Alternative in der Person von Hannelore Kraft laut werden. Dass sie sich aber von ihrem strikten Nein zu einem Wechsel nach Berlin noch einmal abbringen lässt, schloss sie trotz aller momentanen Euphorie noch am Abend aus: „Im Bund rufen immer schon einige. Darüber freue ich mich auch. Das ist eine Ehre. Aber ich habe meine Aufgabe hier. (...) Man muss wissen, wo die eigene Aufgabe liegt.“ Allerdings dürfte Kraft nun ein noch gewichtigeres Wort bei der Entscheidung über den Kandidaten mitreden.