Analyse: Klimawandel unter Verdacht

Potsdam/München (dpa) - Ursache für das Hochwasser in Bayern und Ostdeutschland ist eine ungewöhnliche Großwetterlage - und der Klimawandel könnte eine Rolle dabei gespielt haben.

Als einen Verdächtigen haben Forscher den Jetstream im Visier. Doch auch der kalte und nasse Winter begünstigte die Fluten. Auch er könnte kein Zufall sein.

„In der Regel wird unsere Großwetterlage vom Jetstream bestimmt, der in acht bis zehn Kilometern Höhe vom Atlantik Richtung Osten zieht“, erläutert der Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (Pik), Hans Joachim Schellnhuber. „Dieser Jetstream ist ziemlich stark gespannt und schlägt manchmal eine Falte nach Norden oder Süden, die aber in ein paar Tagen wieder ausgebügelt wird.“ Diesmal sei die Falte jedoch wie eingefroren wochenlang erhalten geblieben. Folge: „Im Mai 2013 lagen wie auf eine Perlenschnur gezogen, Tiefdruckgebiete über Zentraleuropa.“

Beult sich eine Jetstreamwelle, nach ihrem Entdecker auch Rossby-Welle genannt, nach Norden, dann strömt warme Luft nach Deutschland. Geht sie nach Süden, dann kommt kältere Luft von der Arktis hinein. Erst im Februar hatten Pik-Forscher um Vladimir Petoukhow jedoch das Phänomen der über lange Zeit „eingefrorenen“ Wellen in einer Studie beschrieben. Laut Schellnhuber gab es dieses auch 1997 bei der Oder- und 2002 bei der Elbeflut. „Beim Hitzesommer 2003 hatten wir dagegen eine solche ausgeprägte Welle nach Norden, so das subtropische Luft lange Zeit nach Europa einzog, 2010 geschah ähnliches über Russland.“

In den vergangenen Jahrzehnten habe es immer häufiger solche Situationen gegeben. Liegt das am Klimawandel? „Das lässt sich nicht eindeutig beantworten. Aber wir haben einen interessanten Verdächtigen“, sagt Schellnhuber und nennt noch weitere Indizien: Gewöhnlich sei der Jetstream recht straff, weil der Temperaturunterschied zwischen der Arktis und Europa groß sei. Da sich die Arktis aber stärker erwärme als die gemäßigten Breiten, verringere sich der Unterschied. „Wir erwarten, dass sich die Jetstream-Wellen künftig noch stärker ausprägen könnten.“ Zudem könne die Erdatmosphäre pro Grad Erwärmung sieben Prozent mehr Wasser aufnehmen, das dann irgendwann wieder auf die Erde falle.

Aus Rekonstruktionen sei bekannt, dass es eingefrorene Jetstreamwellen schon bei früheren Fluten gegeben habe, sagt Schellnhuber. Er sieht aber eine Tendenz zu deren Häufung. „Jetzt wird es hochspannend, zu prüfen, ob diese Tendenz sich verstärkt.“

Eine weitere Ursache für das Hochwasser sei der lange Winter und das nasse Frühjahr, so dass die Böden zu feucht waren, um das Wasser der Regenfälle Ende Mai aufzunehmen. Auch hier gebe es einen Zusammenhang mit dem Klimawandel, meint Schellnhuber. Der Rückgang des arktischen Eises führt älteren Studien zufolge zu einer stabilen Hochdrucklage nördlich von Skandinavien - und dazu, dass mehr kalte Luft im Winter nach Europa strömt, was den Winter verstärke.

Die Hochwasserkatastrophe sei wesentlich größer worden, weil die Böden „feuchtegesättigt“ waren, bestätigt auch das Deutsche Geoforschungszentrum in Potsdam (GFZ). „40 Prozent der Landesfläche Deutschlands wiesen Ende Mai neue Bodenfeuchterekorde auf“, schreibt das Zentrum mit Verweis auf eine Studie des Center for Disaster Management and Risk Reduction Technology (Cedim/Potsdam). Der Boden habe einfach kein Wasser mehr aufgenommen, so dass mehr direkt in die Flüsse gelangt sei. „Vielerorts zählt der Mai zu den nassesten seit Aufzeichnungsbeginn vor teilweise mehr als hundert Jahren“, berichtet das Cedim, das vom GFZ und dem Karlsruher Institut für Technologie betrieben wird.

Insgesamt haben die Unwetterkatastrophen in Deutschland nach Daten des Rückversicherers Munich Re deutlich zugenommen. „Seit 1980 hat sich die Zahl atmosphärisch bedingter Ereignisse, also Stürme und Überschwemmungen, pro Jahr hierzulande mehr als verdoppelt“, rechnet der Leiter des Klimazentrums der Munich Re, Ernst Rauch, vor. Auch die Wetterlage, die zu dem neuen Hochwasser geführt habe, sei in den vergangenen Jahrzehnten häufiger geworden. „In der Wissenschaft gibt es Studien, die diese Entwicklung in Zusammenhang mit dem Klimawandel stellen“, meint er - ohne sich festlegen zu wollen.

Falls es keine so hohen Schäden geben sollte wie 2002, liegt nach Ansicht des Cedim vor allem am besseren Hochwasserschutz wie den Deichausbau und der inzwischen „hochwassererprobten“ Bevölkerung. „Viele Leute hatten die Erfahrungen noch präsent und waren nicht vollkommen hilflos“, sagte Cedim-Hochwasserexperte Florian Elmer. Erdgeschosswohnungen seien gefliest, Öltanks gesichert worden. Die Menschen in Passau etwa seien zwar von der Höhe aber nicht vom Hochwasser an sich überrascht worden.