Analyse: Klitschko rüstet Opposition für neue Proteste
Kiew (dpa) - Wie eine Festung ist das ukrainische Parlament an diesem sonnigen Wintertag gegen Tausende Demonstranten gesichert. Im Innern sieht die prowestliche Opposition „den Tag der Abrechnung“ gekommen: Nach massiven Straßenprotesten will sie nun die Regierung mit einem Misstrauensvotum stürzen.
Doch demonstrativ sind die Minister erst gar nicht erschienen, obwohl sie dazu verpflichtet sind. Lange müssen die Abgeordneten um Boxweltmeister Vitali Klitschko warten, bis Regierungschef Nikolai Asarow endlich im Parlament Platz nimmt.
Draußen schirmen Hunderte Einsatzkräfte der Sondereinheit Berkut (Steinadler) das Gebäude gegen wütende Demonstranten ab, die in Sprechchören den Rücktritt der Regierung fordern. Fahnen knattern im Eiswind. Jubel brandet auf, als Klitschko von einem Lautsprecherwagen zur Menge spricht. „Heute muss die Regierung dafür bezahlen, dass sie unseren Traum von Europa gestohlen hat“, sagt der Boxer, das Mikrofon in der rechten Faust. „Schande“ und „Revolution“ rufen Demonstranten und singen die Nationalhymne: „Noch ist die Ukraine nicht gestorben.“
Zwar ist die Opposition durch innere Machtkämpfe gespalten. Aber sie eint das Ziel, Asarow abzuwählen. Die Regierungsgegner machen den loyalen Weggefährten von Präsident Viktor Janukowitsch mit dafür verantwortlich, dass die Ex-Sowjetrepublik ein ausgehandeltes Partnerschaftsabkommen mit der EU nicht unterzeichnet hat.
„Ich fordere Sie auf, politische Verantwortung zu übernehmen“, ruft Klitschko in den Plenarsaal der Obersten Rada. Mit Nachdruck fordert er auch vorgezogene Präsidentenwahlen. „Treten Sie zurück, Herr Janukowitsch, das ist die einzige Lösung der Situation.“
Asarow gibt sich selbstbewusst. Zwar entschuldigt er sich für einen brutalen Einsatz gegen Demonstranten. Aber die Polizei werde immer wieder provoziert. Offensiv kündigt er neue Gespräche mit der Europäischen Union über das gestoppte Assoziierungsabkommen an.
Janukowitsch verhandle in den nächsten Tagen zudem in China über eine engere Zusammenarbeit, erzählt Asarow, und dann fliege der Präsident nach Russland weiter - zu Gesprächen mit Kremlchef Wladimir Putin über billigeres russisches Gas. Er klingt nicht wie ein Regierungschef in der Klemme. Am Vortag hatte er noch von einem „drohenden Staatsstreich“ gesprochen, den die Opposition plane.
Mindestens 226 Stimmen hätte die Opposition zur Abwahl der Regierung gebraucht. Vor der Abstimmung war über zahlreiche Abweichler aus Asarows Partei der Regionen spekuliert worden. Aber das Ansinnen scheitert deutlich. Der Antrag der Regierungsgegner erhält nur 186 Stimmen. Zünglein an der Waage sind die Kommunisten, die die Pro-Europäer nicht auf ihre Seite ziehen können.
Zornig kündigen Klitschko und sein Oppositionskollege Arseni Jazenjuk von der Partei der inhaftierten Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko eine Blockade der Präsidialverwaltung an, damit Janukowitsch Asarow entlässt - doch der Staatschef ist ja in Peking.
Das gescheiterte Misstrauensvotum sei ein Etappensieg der Regierung - aber nicht mehr, meint der Politologe Wladimir Fessenko in Kiew. „Es bleibt ein wackliges Gleichgewicht der Kräfte“, sagt er.