Analyse: Koalition vor „Frühjahr des Neustarts“?
Berlin (dpa) - Kein Wort über den Koalitionspartner: Kanzlerin Angela Merkel (CDU) versucht am Montagmittag, mit einem betont ruhigen Auftritt im Kanzleramt die aufgeregte Stimmung im politischen Berlin und bei ihrem Koalitionspartner FDP nicht noch weiter anzuheizen.
Ein paar Sätze zur Auftaktsitzung der Ethikkommission „Sichere Energieversorgung“ zur Zukunft der Atomkraft, dazu eine Journalisten-Frage. Dann tritt die Kanzlerin von den Kameras weg, keine weiteren Nachfragen erlaubt.
Lediglich die ungewöhnlich sanfte, sehr kontrollierte Stimmlage könnte ein Signal für Merkels Gemütsverfassung sein: Die personellen Umbrüche bei der FDP lassen sie nicht kalt. Für Kanzlerin und Koalition ist nach dem Fiasko bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg und dem Scheitern der Liberalen in Rheinland-Pfalz nichts mehr so, wie es vorher war. Merkel muss sich auf neue Verhandlungspartner einstellen, auch inhaltlich will sich die FDP neu profilieren.
Am Montag dürfte Merkel zunächst selbst überrascht worden sein, dass die FDP noch keinen neuen starken Mann präsentierte. Ihr Sprecher Steffen Seibert beantwortete gegen Mittag Fragen nach einem möglichen künftigen Vizekanzler mit dem Hinweis, man solle abwarten, bis sich die FDP erklärt habe. Und das „wird ja wohl heute im Laufe des Tages noch sein“. Doch dann musste sich auch die Kanzlerin gedulden: Erst am Dienstag will sich die FDP auf eine Nachfolgeregelung festlegen.
In der Union werden die Entwicklungen beim Koalitionspartner mit gemischten Gefühlen beobachtet. Es sei kaum vorstellbar, dass Merkel in Depression versinke, wenn Westerwelle nicht mehr FDP-Vorsitzender und Vizekanzler sei, heißt es in CDU-Kreisen. Mit einer neuen FDP-Mannschaft könne es eigentlich nur besser werden. Zu unberechenbar habe Westerwelle immer wieder agiert, etwa in der Steuersenkungs- oder Sozialstaatsdebatte („spätrömische Dekadenz“). In Merkels „Wunschkoalition“ mit der FDP ist schon lange Ernüchterung eingekehrt.
Sollte Gesundheitsminister Philipp Rösler wie erwartet neuer starker Mann der Freidemokraten werden, dürfte Merkel nur wenig Probleme mit ihm haben, hoffen sie in der Union. Vom Naturell her sei er Merkel relativ ähnlich, Rösler sei wenig „lautsprecherisch“ und eher abwartend, wird analysiert. Er gelte als „Teamplayer“. Und im Kabinett habe er bisher keinen schlechten Job gemacht - etwa bei der Gesundheitsreform, die er recht zügig und ohne große Verwerfungen mit der CSU über die Bühne gebracht habe.
Die Personalie Rösler sei wohl eher ein Problem für die FDP, heißt es in der CDU: Der Gesundheitsminister sei schließlich bisher nicht gerade als „Alphatier“ aufgetreten. Es müsse sich erst zeigen, ob der 38-Jährige sich gegen „Altvordere“ wie Wirtschaftsminister Rainer Brüderle, aber auch gegen die Kanzlerin oder CSU-Chef Horst Seehofer durchsetzen könne. Und zudem bleibe abzuwarten, ob Generalsekretär Lindner nicht doch noch Fraktionschefin Birgit Homburger ablösen werde - in diesem Fall habe Rösler einen zumindest gleichstarken und mächtigen Mann in der FDP-Fraktion neben sich.
Für Schwarz-Gelb, das wissen sie im Lager Merkels, ist die große Frage nun: Kann sich die FDP stabilisieren? Die Liberalen hätten die Chance für einen Neustart, und „das würde der Koalition gar nicht so schlecht zu Gesicht stehen“, heißt es im CDU-Führungszirkel. Nach Merkels „Herbst der Entscheidungen“ könnte es jetzt ein „Frühling des Neustarts“ werden. Die FDP könne sich mit neuer Führung „hin zum klassischen, seriösen Makler der Vernunft und des Ausgleichs und zum Korrektiv in der Koalition“ entwickeln. Diese Funktion sei den Liberalen mit Westerwelle an der Spitze verloren gegangen.
Doch auch ein Horrorszenario wird in der Union nicht ganz ausgeschlossen: Falls der FDP die Operation nicht gelinge, „wird es für die Koalition insgesamt schwierig“. Generalsekretär Lindner hat schon angedeutet, dass sich Merkel wohl auch in Zukunft nicht zurücklehnen kann: Die FDP werde sich jetzt nicht „plötzlich einen politischen Weichspüler verordnen. Sondern wir wollen eine konturierte und couragierte liberale Kraft in Deutschland bleiben.“