Report: Weiße Rosen nach kaltem Putsch
Berlin (dpa) - Der von allen erwartete neue Star der FDP kam mit großer Verspätung zum Krisentreffen. Gesundheitsminister Philipp Rösler hatte noch Amtsgeschäfte zu erledigen, während die FDP-Granden am Montagmorgen bereits um den Präsidiumstisch im Thomas-Dehler-Haus in Berlin-Mitte versammelt waren.
So entgingen ihm einige Szenen, die kennzeichnend sind für die Gemütslage der Liberalen nach der Rückzugsankündigung von Guido Westerwelle. Als der Noch-Parteichef kurz nach 10.00 Uhr den Raum betrat, streckte ihm Silvana Koch-Mehrin einen Strauß weißer Rosen entgegen.
Westerwelle reagierte etwas verdattert. Normalerweise erhalten Wahlsieger oder -verlierer - möglichst fotografenfreundlich schulterklopfend - Blumengebinde in die Hand gedrückt. Ein Zuruf aus der Ecke um Rainer Brüderle löste dann die etwas künstliche Stimmung: „Der ist doch noch gar nicht abgewählt ... “
Auf den Wirtschaftsminister war die große Aufmerksamkeit bei dieser „ganz besonderen Sitzung unserer Parteispitze“ (Generalsekretär Christian Lindner) gerichtet. Er hatte sich am Morgen mit einem Grundsatzartikel im „Handelsblatt“ als marktwirtschaftliches Gewissen der FDP für seinen Verbleib im Ministeramt empfohlen: „Die Partei muss sich wieder den Brot-und-Butter-Themen zuwenden...“
Wegen der Wahlniederlage seiner rheinland-pfälzischen FDP und der lockeren Sprüche über den Atom-Ausstieg im Wahlkampf muss er nach wie vor damit rechnen, bei dem Parteitag Mitte Mai in Rostock als stellvertretender Bundesvorsitzender abgewählt zu werden. Ob er dann bis Ende der Legislatur Wirtschaftsminister bleiben kann, ist offen.
So löste der Pfälzer denn auch den einzigen offenen Disput in der Präsidiumssitzung aus. „In Deutschland gibt es keinen Bedarf an einer fünften sozialdemokratischen Partei“, warnte er laut Sitzungsteilnehmern vor Öffnungen der Partei zu Rot-Grün. Lindner reagierte schneidend: Er habe die „Glaubenskongregationen“ satt, die den Reformern in der Partei immer wieder vorhielten, sie wollten „die FDP grün anpinseln“.
Hier blitzte ein einziges Mal in dieser Sitzung der Machtkampf auf, der derzeit in der FDP um die Westerwelle-Nachfolge tobt. Dass alles auf den 38-jährigen Gesundheitsminister hinausläuft, bezweifelte nach der FDP-Präsidiumssitzung am Montag niemand mehr, obwohl das Thema direkt keine Rolle spielte.
Zumindest über den Chef-Posten soll an diesem Dienstag entschieden werden. Mit Präsidium, Landesvorsitz, Bundesvorstand und Bundestagsfraktion kommen im alle Spitzenvertreter der Partei zusammen, die für die Kür eines neuen Vorsitzenden vor einem Wahl-Parteitag bestimmend sind.
Hier könnten auch Änderungen der Regierungsmannschaft der FDP beschlossen werden, mit denen aber inzwischen kaum jemand noch rechnet. Sollte Rösler - selbst früher in Niedersachsen Wirtschaftsminister - Brüderles Posten beanspruchen, käme es zu einer Kampfabstimmung. Erwartet wird das aber nicht.
So deutet vieles darauf, dass die Nach-Westerwelle-Führung der FDP von einer Verständigung zwischen der bisherigen „alten“ Führungsgarde um Brüderle und Fraktionschefin Birgit Homburger mit Rösler und Lindner abhängen wird. Rösler kann mit Homburger gut, versichern jedenfalls Kenner.
Brüderle wiederum hält zwar nicht viel vom „Säuselliberalismus“ der Lindners, Röslers und Bahrs, muss sich aber mit ihnen arrangieren. Mit inhaltlichen Parteitagsbeschlüssen etwa zum Atomausstieg wäre er politisch neutralisiert. Das erwartete Stillhalteabkommen wird letztlich Haltbarkeit und Image der „neuen FDP“ bestimmen.
Westerwelle jedenfalls ist bei der Nachfolge-Suche aus dem Spiel. Der Neue müsse seine Kandidatur „aus eigenem Recht und eigener Stärke“ anmelden, setzte er diese Personalie von der Tagesordnung ab. „Ich sitze nicht mehr im Fahrersitz und greife dem neuen Vorsitzenden auch nicht ins Steuer“, wurde der scheidende Parteichef zitiert.
Die für ihn entscheidenden Weichen hatte Westerwelle bereits am Sonntagnachmittag in seiner Wohnung in Berlin-Charlottenburg mit dem informellen Führungstrio Lindner, NRW-Chef Daniel Bahr und - dem aus Hannover zugeschalteten - Rösler erörtert. Sie machten ihm klar, dass er nach 17 Jahren als Generalsekretär und Parteichef jetzt chancenlos ist.
Hier erhielt Westerwelle auch die Zusicherung, dass er Außenminister bleiben darf. Das Präsidium billigte das am Montag dann einstimmig. Lindner sprach anschließend mehrfach von einer „souveränen Entscheidung“ Westerwelles zum Amtsverzicht - so kann man auch einen kalten Putsch umschreiben.