Analyse: Krawalle vor der Wahl
Kairo (dpa) - Da war sie wieder, die wichtigste Parole des Arabischen Frühlings. „Das Volk will den Sturz des Systems“, riefen Demonstranten bei den heftigen Krawallen rund um den Tahrir-Platz am Wochenende in Kairo.
Mit der Parole haben die Ägypter im Februar den langjährigen Präsidenten Husni Mubarak aus dem Amt getrieben. Und mit der Parole wollen sie jetzt auch den regierenden Militärrat loswerden. Vor allem der Chef des Militärrats, Mohammed Hussein Tantawi, wird in Parolen immer wieder angegriffen. Tantawi war unter Mubarak bereits Verteidigungsminister.
In einer Woche - am 28. November - sollen in dem nordafrikanischen Land die Parlamentswahlen stattfinden. Es sind die ersten seit Mubaraks Fall im Februar. Von der damaligen Euphorie ist nicht mehr viel übrig. Die Menschen sind frustriert, darüber dass es mit dem Land nicht vorangeht, über die spärlichen Reformen und über die schwierige wirtschaftliche Lage.
So reichte am Samstag eine Polizeiaktion gegen einige Dutzend Aktivisten aus, um einen erneuten Gewaltausbruch zu bewirken - in Kairo, Alexandria und in anderen Städten. Die Sicherheitskräfte hatten einen Sitzstreik gegen den Militärrat auf dem Tahrir-Platz aufgelöst, als die Lage eskalierte. Die Demonstranten hatten nach einer von Islamisten dominierten Großkundgebung gegen die von der Übergangsregierung geplanten Verfassungsleitlinien am Freitag ihre Zelte aufgebaut. Sie wollten auf unbefristete Zeit weiterprotestieren. Es sind vor allem Regelungen, die die Macht des Militärs absichern sollen, die für Empörung sorgen.
Vor diesem Hintergrund wurde die Räumung des Tahrir-Platz in den Augen vieler zum symbolischen Akt. Denn das riesige Rondell im Zentrum der Stadt war der Mittelpunkt der Anti-Mubarak-Proteste am Anfang des Jahres. So gingen am Samstagnachmittag bis in den späten Abend hinein immer mehr Aktivisten auf die Straße, mit dem Ziel, den Platz zurückzuerobern. Bis in die Nacht hinein lieferten sich Demonstranten und Polizisten Straßenschlachten. Die Stadtmitte war nicht mehr überschaubar, provisorische Absperrungen in den Seitenstraßen, stechender Tränengasgeruch in der Luft, überall knallte es.
Die Bilder aus Kairo hatten auch Auswirkungen auf Alexandria, wo Kritiker des Militärrats und die Polizei heftig aufeinanderprallten. Augenzeugen berichteten sogar, dass Scharfschützen auf Demonstranten feuerten. Von Regierungsseite wurde das dementiert. Die traurige Bilanz der Krawalle: Zwei Tote - einer in Kairo, einer in Alexandria - und Hunderte Verletzte. Zunächst war von zwei Toten in der Hafenstadt die Rede.
Am Sonntagmorgen hatten die Protestierenden den Tahrir-Platz wieder zurückerobert, die Eingänge mit Zäunen und anderen Absperrungen gesichert. Immer wieder kam es zu Ausschreitungen. Wie sich die Situation in den Tagen vor der Wahl noch weiterentwickeln wird, ist unklar.
Jedenfalls kündigten Mitglieder der Jugendbewegung auf der Internetplattform Facebook an, sie wollten den Tahrir-Platz erst verlassen, wenn die Militärregierung abgetreten ist. Die Anhänger der Jugendbewegung haben andere Ziele als die demonstrierenden Islamisten, doch geeint sind sie in ihrer Ablehnung des Militärrates und vor allem Tantawis