Analyse: Libyen-Krise bringt Europäer in Bredouille
Brüssel (dpa) - Die Krise im ölreichen Libyen bringt die Europäer schwer in Bredouille. Der Wüstenstaat ist als Wirtschaftspartner begehrt, Machthaber Muammar al-Gaddafi wurde in Brüssel empfangen.
Der umstrittene Revolutionsführer spielte auch im Kampf gegen illegale Einwanderung eine wichtige Rolle.
Das brutale Vorgehen gegen friedliche Demonstranten gibt nun denen Recht, die zu Gaddafi auf Distanz blieben. Die EU zeigt sich geeint, wenn es darum geht, die Gewalt zu verdammen. „Die Vorfälle in Libyen sind nicht hinnehmbar“, meinte der französische Europaminister Laurent Wauquiez.
Wenn es jedoch um die Strategie gegenüber Tripolis geht, zeigt sich die Union gespalten. Nordeuropäer wie der finnische Außenminister Alexander Stubb fordern klipp und klar, den Dauermachthaber in Tripolis auf dieselbe Stufe zu stellen wie den autoritär herrschenden weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko.
„Wie können wir die Ereignisse verfolgen in Libyen mit über 300 Toten, wenn wir nicht über Sanktionen oder Einreiseverbote sprechen?“, fragte der Minister aus Helsinki nach einem Treffen mit seinen europäischen Amtskollegen.
Klare Antworten der Union in Sachen Bestrafung von Gaddafi gibt es aber nicht. Vor allem Italien bremst. Regierungschef Silvio Berlusconi bezeichnet den „Colonello“, wie Gaddafi in Italien auch genannt wird, als einen persönlichen Freund. Seit zwei Jahren gibt es ein Freundschaftsabkommen zwischen beiden Ländern. Und Rom hat mächtig Angst angesichts einer drohenden neuen Flüchtlingswelle aus Nordafrika. Diese Befürchtungen werden auch von Malta und Zypern geteilt.
Die Europäer versuchen fieberhaft, beim Schutz ihrer Staatsbürger in dem Krisenland einigermaßen geeint vorzugehen. Die ungarische EU-Ratspräsidentschaft will an Ort und Stelle erreichen, dass es bei den Ausreisevisa, die bisher zum Verlassen des Landes nötig sind, Erleichterungen gibt.
Es solle auch sichergestellt werden, dass es bei Reisewarnungen und Evakuierungen von EU-Bürgern nicht zu einem großen Durcheinander kommt, meint ein Diplomat. „Das ist im Fall Ägypten nicht gut gelaufen“, räumt er ein. Das deutsche Auswärtige Amt sprach inzwischen für das ganze Land eine Reisewarnung aus.
Gaddafi erwies sich in den vergangenen Jahren als unberechenbarer Partner. Seine Auftritte in Brüssel waren ebenso spektakulär wie bizarr: Er ließ sich in einem Park ein Wüstenzelt aufbauen und wurden von bewaffneten Leibwächterinnen in Kampfanzügen umringt. „Libyen ist die Brücke nach Afrika, Libyen ist die Brücke nach Europa“, lautete einer seiner Lieblingssprüche.
Der „Sonnenkönig“ forderte von den Europäern für das Eindämmen von Flüchtlingsströmen jährlich fünf Milliarden Euro - sonst lasse er das weiße, christliche Europa schwarz werden, lautete die offene Drohung.
Brüssel sicherte im vergangenen Oktober schließlich 50 Millionen Euro zu; Geld aus diesem Topf sei aber bisher nicht geflossen, versichert die EU-Kommission. Es ging dabei um bessere Technik für Grenzkontrollen oder die Unterbringung von Flüchtlingen.
Über Flüchtlingswellen im Mittelmeer werde noch viel gesprochen werden, sagen Brüsseler Experten mit düsterem Unterton vorher. Minister Wauquiez gab für Frankreich schon einmal die Linie aus: „Es muss eine europäische Solidarität geben. Wenn es gemeinsame Grenzen gibt, werden sie gemeinsam verteidigt.“