Konzerne ziehen Mitarbeiter aus Libyen ab
Berlin (dpa) - Angesichts der blutigen Unruhen in Libyen holen ausländische Unternehmen ihre Mitarbeiter heim. Die Öl- und Gastochter des Ludwigshafener Chemiekonzerns BASF Wintershall und Siemens kündigten an, Beschäftigte ausfliegen zu lassen.
Die RWE-Öl- und Gasfördertochter Dea empfahl ihren Mitarbeitern schon am Wochenende, Libyen zu verlassen. Auf dem Ölmarkt treibt die Eskalation der Gewalt die Rohölpreise nach oben. Die Befürchtungen wachsen, dass Öl- und Gaslieferungen aus dem OPEC-Wüstenstaat beeinträchtigt werden. Nach Einschätzung der EU-Kommission stellen die Unruhen in Libyen kein Problem für die Ölversorgung Europas dar, Engpässe könnten durch Golfstaaten wie Saudi-Arabien ausgeglichen werden.
Die Lage für Unternehmen, die in dem Land Geschäfte machen, verschärft sich allerdings. „Es ist ein relativ schwieriger Markt gewesen“, sagte Felix Neugart, Nordafrika-Experte des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), in einem dpa-Gespräch. Er verwies auf rechtliche Probleme, etwa bei der Visa-Vergabe. „Als Mittelständler müssen sie sich schon auskennen und einen verlässlichen Partner vor Ort haben.“
Als Markt für deutsche Unternehmen reiche Libyens Bedeutung bislang nicht an die von Ländern wie Saudi-Arabien und Ägypten heran. 2009 wurden Waren für 1,13 Milliarden Euro exportiert, darunter Baumaschinen, Fahrzeuge und Lebensmittel. Wegen seines Bevölkerungswachstums und der hohen Einnahmen aus dem Ölverkauf wird Libyen allerdings ein großes Potenzial nachgesagt.
Wintershall wollte noch am Montag rund 130 Mitarbeiter und Angehörige aus Libyen ausfliegen. Das Büro in Tripolis soll vorübergehend unbesetzt, eine kleine Kernmannschaft aber vor Ort bleiben, sagte eine Unternehmenssprecher. Insgesamt beschäftigt das Unternehmen dort mehr als 400 Mitarbeiter. Etwa 30 Mitarbeiter haben die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Öl- und Gastochter des Ludwigshafener Chemiekonzerns BASF ist seit 1958 in Libyen und betreibt zurzeit acht Ölfelder in der libyschen Wüste. Die Anlagen befinden sich rund 1000 Kilometer südöstlich von Tripolis.
Eine Sprecherin von RWE Dea berichtete: „Einige Mitarbeiter und ihre Familien sind auch bereits in ihre Heimatländer zurückgekehrt.“ Insgesamt arbeiteten mehr als 100 Beschäftigte für RWE Dea in Libyen, mehrheitlich Einheimische, die anderen kämen aus unterschiedlichen Ländern. Siemens organisiert die Ausreise von rund 100 Mitarbeiter. Der Konzern betreibt nach seinen Angaben Umspannungswerke und Schaltanlagen und erzielt in dem Land einen Jahresumsatz von rund 160 Millionen Euro. Auch der Bau- und Dienstleistungskonzern Bilfinger Berger will 24 Mitarbeiter und 18 Angehörige so schnell wie möglich ausfliegen, sagte ein Unternehmenssprecher. Das Unternehmen sei bei einer libyschen Gesellschaft finanziell beteiligt.
Der britische Energiekonzern BP zieht ebenfalls einen Teil seines Personals ab. BP beschäftigt derzeit rund 140 Mitarbeiter in Libyen. BP fördert nach eigenen Angaben dort bisher noch kein Öl oder Gas, die Mitarbeiter sind aber unter anderem damit beschäftigt, Ölförderungen im Westen des Landes vorzubereiten.
Auch der größte italienische Energiekonzern ENI und der österreichische Energiekonzern OMV wollen Mitarbeiter ausfliegen. Italien ist einer der wichtigsten Handelspartner des nordafrikanischen Staates im Energiebereich. Mehr als ein Drittel der libyschen Öl- und Gasexporte gehen nach Italien. OMV beschäftigt nach eigenen Angaben insgesamt 53 Mitarbeiter in dem Land und ist dort in der Öl- und Gasproduktion.
Ebenso ziehen französische Unternehmen ihre Leute aus Libyen ab. Der Ölkonzern Total hat nach französischen Medienangaben bereits den Großteil seiner Mitarbeiter heimgeholt, dies plant auch der Baukonzern Vinci, dessen Mitarbeiter am Bau eines Kontrollturms für den internationalen Flughafens von Tripolis arbeiten. Einige Total-Mitarbeiter blieben unter verstärkten Sicherheitsmaßnahmen in dem Wüstenstaat, hieß es auf der Website der französischen Tageszeitung „Le Figaro“ am Montag. Die Vinci-Mitarbeiter arbeiten am Bau eines Kontrollturms des internationalen Flugahfens von Tripolis.
Die Nordsee-Ölsorte Brent stieg zeitweise knapp über die Marke von 105 US-Dollar und damit auf den höchsten Stand seit rund zweieinhalb Jahren. Am Abend kostete ein Fass Brent noch 104,90 Dollar und damit 2,38 Dollar mehr als am Freitag. Der Preis für ein ass der US-Sorte West Texas Intermediate (WTI) stieg noch stärker um 4,25 Dollar auf 90,45 Dollar.
Libyen verfügt mit mehr als 44 Milliarden Barrel über die größten nachgewiesenen Erdölreserven Afrikas und ist einer der wichtigsten Öl- und Gaslieferanten Europas. Die Gefahr, dass Ölförderung und -Lieferungen des Landes durch die Eskalation behindert werden, mache die Ölmärkte nervös, erklärten Händler.
Weitere Ölpreissteigerungen hält auch Felix Neugart für möglich, Engpässe jedoch nicht. „Das, was aus Libyen kommt, kann sicherlich an den Märkten ausgeglichen werden.“ Die Sprecherin von EU-Energiekommissar Günther Oettinger sagte am Montag auf Anfrage in Brüssel: „Falls die Öllieferungen von Libyen in die EU unterbrochen würden, hätte dies nur kurzfristige, aber keine andauernden oder bedeutenden Auswirkungen auf die Versorgungsbilanz.“ Ein Engpass könnte von anderen Lieferländern wie Saudi Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten oder Katar ausgeglichen werden. Bei möglichen Lieferunterbrechungen werde die EU handeln.
Im Jahr 2009 haben die 27 EU-Länder nach Brüsseler Angaben 60,2 Megatonnen Rohöl von Libyen importiert, das entsprach einem Zehntel der gesamten Öleinfuhren. Am stärksten sei Italien von libyschem Öl abhängig.
Commerzbank-Analysten verwiesen darauf, dass ein einflussreicher Stammesführer damit gedroht habe, die Öllieferungen in den Westen binnen 24 Stunden einzustellen, falls die Gewalt nicht aufhöre. Libyen produziere täglich 1,6 Millionen Barrel Rohöl, wovon rund 1,1 Millionen Barrel pro Tag exportiert würden. Das Land ist Mitglied der Organisation Erdöl exportierender Länder (Opec).
Rohstoffexperte Frank Schallenberger von der LBBW erwartet weitere Ölpreissteigerungen bis auf 110 Dollar je Barrel für die Nordseesorte Brent, wenn die Lage sich weiter verschärfe. „Libyen ist am Ölmarkt eine ganz andere Geschichte als Tunesien oder Ägypten. Es handelt sich hier immerhin um das Ölförderland Nummer zwölf der Welt“, sagte der Experte der Nachrichtenagentur dpa-AFX.