Analyse: Linke triumphiert nach Karlsruher Urteil

Bersteland (dpa) - Petra Pau hat erst in der vergangenen Woche Post von den Anwälten des Bundesamtes für Verfassungsschutz bekommen. Auf 40 Seiten wurde der Vizepräsidentin des Bundestags darin begründet, warum sie keine Einsicht in ihre Akten erhalten könne.

Ihr Name tauche an etwa 400 Stellen auf, heißt es in dem Schreiben. Diese von einem Sachbearbeiter sichten zu lassen, wäre demnach ein unverhältnismäßiger Aufwand. Der Sachbearbeiter bräuchte dafür nämlich „voraussichtlich mindestens ca. 488,5 Stunden“, also 60 Tage.

Petra Pau ist seit mehr als sieben Jahren Vizepräsidentin des Bundestages. Sie hat damit eines der höchsten Ämter, das die Bundesrepublik zu vergeben hat. Die Expertin für innere Sicherheit ist auch bei den Kollegen anderer Fraktionen hoch anerkannt. Trotzdem wurde sie bis zum Herbst 2012 wie viele andere ihrer Fraktionskollegen vom Verfassungsschutz beobachtet. Wieviele es genau waren und sind, ist unklar. Zwischenzeitlich kursierte eine Liste mit 27 Namen. Offizielle Angaben gab es aber nie.

Deswegen haben insgesamt rund 50 Linke-Politiker, die schon zwischen 2005 und 2009 im Bundestag saßen, gegen ihre Beobachtung geklagt - darunter auch Pau und der frühere Vizefraktionschef Bodo Ramelow.

Ramelow hat jetzt als erster Recht bekommen. Die Karlsruher Richter untersagen in ihrem Urteil vom Mittwoch die Beobachtung von Bundestagsabgeordneten zwar nicht grundsätzlich, setzen die Hürden dafür aber ziemlich hoch. Es müssten „Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Abgeordnete sein Mandat zum Kampf gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung missbraucht oder diese aktiv und aggressiv bekämpft“, heißt es in dem Urteil.

Die Entscheidung wurde ausgerechnet an dem Tag bekanntgegeben, als die Linke sich im Spreewald bei Berlin auf die neue Legislaturperiode vorbereitete. Fraktionschef Gregor Gysi zögerte nicht, dem Urteil das Prädikat historisch zu verpassen. „Das ist, glaube ich, ein wichtiger Tag in unserer Geschichte“, sagte er nur 40 Minuten nach Veröffentlichung des Urteils in die Kameras.

Auch Gysi wurde mehr als 20 Jahre vom Verfassungsschutz beobachtet. Seine Akte umfasst 983 Seiten, viele davon ganz oder teilweise geschwärzt. Was darin offen zu lesen ist, geht kaum über Banalitäten hinaus. Der größte Teil der Akte besteht aus Zeitungsartikeln, Pressemitteilungen, Auszügen aus Parteipublikationen.

Am aufregendsten ist noch ein Artikel aus dem Nachrichtenmagazin „Focus“ von 1994 mit der Überschrift „Gysi: Deal mit Gaddafi?“, in dem der Verdacht geäußert wird, dass der „PDS-Star“ SED-Millionen nach Libyen verschieben wolle. Das Dementi steht auf der nächsten Seite der Akte, zitiert aus der parteinahen Zeitung „Neues Deutschland“.

Die Linke hat sich angesichts solcher „Enthüllungen“ immer ein bisschen über die Beobachtung durch den Verfassungsschutz lustig gemacht. Auf der anderen Seite ist ihr Kampf dagegen aber von hoher politischer Bedeutung für die Partei. „Es ist heute ein Schritt zur Gleichstellung unserer Partei vollzogen worden“, sagte Gysi am Mittwoch. Der Fraktionschef hat sich zum Ziel gesetzt, das Bild der Linken als politisches „Schmuddelkind“, mit der keine andere Fraktion im Bundestag etwas zu tun haben will, zurechtzurücken.

Das Wahlergebnis, das die Linke erstmals zur drittstärksten Kraft machte, war ein Schritt in diese Richtung. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist ein weiterer. Der nächste Schritt sind nach Gysis Vorstellung Gespräche mit SPD und Grünen über eine künftige Zusammenarbeit - und dann soll es vielleicht doch irgendwann mal zu einer Regierungsbeteiligung auf Bundesebene kommen.

Was die Beobachtung durch den Verfassungsschutz angeht, hofft die Partei nun auf einen Erlass von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), der die Beobachtung von Abgeordneten untersagt. Friedrich hatte im November 2012 lediglich verfügt, dass nur noch Mitglieder extremistischer Vereinigungen wie der „Kommunistischen Plattform“ beobachtet werden dürfen. Wenn er seine Haltung jetzt nicht ändert, wollen die rund 50 Abgeordneten der Linksfraktion ihre Klagen wieder aufnehmen, die sie für die Dauer des Ramelow-Verfahrens ruhen ließen.

SPD und Grüne hat die Linke in dieser Frage ausnahmsweise auf ihrer Seite. „Nicht die Abgeordneten der Linkspartei, sondern extremistische Gewalttäter gefährden die Sicherheit in Deutschland“, erklärte SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann, der als heißer Kandidat für einen Ministerposten in der künftigen Regierung gilt. „Die Überwachung hätte schon lange eingestellt werden müssen.“