Analyse: Linke verfehlt ihr Ziel und ist trotzdem zufrieden
Berlin (dpa) - Vom Rekordergebnis der letzten Wahl bleibt die Linke weit entfernt. Auch die von Spitzenkandidat Gysi ausgegebene Zielmarke von zehn Prozent verfehlt sie. Zufrieden ist sie trotzdem.
Jubel gibt es bei der Wahlparty der Linken zunächst nur über den Absturz der FDP und die Verluste der Grünen. Als der tiefrote Balken der eigenen Partei in der ersten Hochrechnung nur auf 8,3 Prozent steigt, bleibt es im Kesselhaus der Berliner Kulturbrauerei dagegen seltsam still. Viele hatten nach den steigenden Umfragewerten der letzten Wochen gehofft, dass doch noch die von Spitzenkandidat Gregor Gysi ausgegebene Zielmarke von zehn Prozent erreicht werden könnte.
Für die Parteiführung ist trotzdem schnell klar, dass es Grund zum Feiern gibt. Das liegt vor allem daran, dass die Linke beste Chancen hat, erstmals drittstärkste Kraft im Bundestag zu werden - vor den Grünen. Die Co-Vorsitzende Katja Kipping spricht von einem „ganz großartigen Tag für die Linke“. Und spätestens als Gysi auf die Bühne tritt, und das Ergebnis als Erfolg wertet, glaubt es auch das Publikum - und dankt es ihm mit „Gregor, Gregor“-Sprechchören. „Wer hätte das 1990 gedacht, dass diese Partei die drittstärkste politische Kraft der Bundesrepublik Deutschland wird. Das haben wir geschafft“, sagt Gysi.
Würde man das letzte Wahlergebnis als Maßstab nehmen, hätte die Linke eigentlich gar nichts zu feiern. Damals kam die gerade aus der westdeutschen WASG und der ostdeutschen Linkspartei/PDS neugegründete Partei mit Gysi und Oskar Lafontaine an der Spitze auf Anhieb auf 11,9 Prozent. Es folgte eine Zeit der innerparteilichen Streitereien, die die Partei an den Rand des Abgrunds brachte.
Der Tiefpunkt war der Göttinger Parteitag im Mai vergangenen Jahres, bei dem Gysi in seiner berühmt-berüchtigten „Hass“-Rede vor einer Spaltung warnte. Damals kratzte die Linke in den Umfragen an der Fünf-Prozent-Hürde.
Dass es jetzt mehr als acht Prozent wurden, kann vor allem Gysi für sich verbuchen. Der 65-Jährige hat in seinem vielleicht letzten Bundestagswahlkampf mit 200 Reden, Interviews und Talkshow-Auftritten noch einmal alles gegeben. Die anderen sieben Spitzenkandidaten blieben in seinem Schatten. Selbst Sahra Wagenknecht konnte mit der Präsenz des Fraktionschefs nicht mithalten.
Gysi setzte erfolgreich auf eine Doppelstrategie: Die SPD angreifen, aber gleichzeitig für Rot-Rot-Grün werben. Gespräche auszuschließen sei „albern und grotesk“, sagt der Fraktionschef auch am Wahlabend an die Adresse der SPD. Die zeigt der Linken aber weiter die kalte Schulter. „Die Linkspartei ist für uns nicht koalitionsfähig - in mehrfacher Hinsicht“, wiederholt SPD-Spitzenkandidat Peer Steinbrück in der „Berliner Runde“, obwohl die Hochrechnungen zu diesem Zeitpunkt auf eine knappe rot-rot-grüne Mehrheit hindeuten.
Das Projekt Rot-Rot-Grün wird Gysi dennoch nicht aufgeben. Er hofft auf die nächste Chance. Sollte es zu einer großen Koalition kommen, würde ihm das bestens ins Konzept passen. „Das hält sie nicht durch. Dann rappelt's im Karton der SPD“, prophezeite er bereits vor der Wahl. Spätestens 2017 - vielleicht sogar früher - ist die Zeit für Rot-Rot-Grün nach seiner Rechnung dann reif.
Das zufriedenstellende Wahlergebnis wird den Fraktionschef auch innerparteilich stärken. In der neuen Wahlperiode wird es darum gehen, wer das Erbe von Gysi und Lafontaine in der Linken antritt. Als Wortführerin des vor allem in Westdeutschland verankerten radikalen Parteiflügels hat sich Sahra Wagenknecht als Nachfolgerin ihres Lebensgefährten Lafontaine in Stellung gebracht. Gysi will dagegen dafür sorgen, dass die ostdeutschen Pragmatiker die künftige Parteilinie maßgeblich bestimmen. Er würde sich Dietmar Bartsch in führender Position wünschen, der nach seinem Scheitern im Kampf um die Parteispitze im vergangenen Jahr weiter auf seine Chance wartet.
Eine erste Kraftprobe wird es Anfang Oktober bei der Wahl des neuen Fraktionsvorstands geben. Zweimal hat Gysi bereits verhindert, dass Wagenknecht an seine Seite in der Fraktionsspitze aufrückt. Der Verlauf des Wahlkampfs und das Ergebnis könnten dazu beitragen, dass ihm das erneut gelingt.