Analyse: Die SPD zwischen Pest und Cholera
Berlin (dpa) - Was nun, SPD? Einen Kanzler Steinbrück wird es nicht geben, Rot-Grün als Option ist passé. Denkbar wäre eine schwache Juniorrolle in einer großen Koalition. Die Stimmung bei der Wahlparty ist sehr gedrückt - der Partei und ihrem Vorsitzenden stehen schwierige Tage ins Haus.
Von Party kann hier keine Rede sein. Schnell lichten sich im Willy-Brandt-Haus die Reihen, während oben im 5. Stock bei der Parteispitze Trübsal geblasen wird. Unterm Strich sehen führende Genossen nur eine Wahl zwischen Pest und Cholera: Eine schwache Rolle in einer großen Koalition, wo die SPD Kellner, nicht Koch wäre, ist die Pest. Eine Unions-Alleinregierung hingegen wäre die Cholera, formuliert es ein SPD-Vorstandsmitglied.
Rückblick 18.00 Uhr: Die 500 Kilo schwere Bronzeskulptur Willy Brandts steht im gleißenden Scheinwerferlicht, es ist rappelvoll in der SPD-Zentrale. Nägelkauen, Blick auf die Monitore. Aufstöhnen, als der SPD-Balken bei 26 Prozent stehen bleibt. „Puh, schwierig“, stöhnt ein älterer Genosse. „Abwarten“, blafft ihn ein anderer an.
40 Minuten später gibt es hektisches Treiben an den Aufzügen, die SPD-Spitze kommt heruntergefahren. Sicherheitsleute bahnen den Weg zur Bühne im Foyer. „Danke, Peer“-Rufe ertönen, großer Applaus. Um 18.41 Uhr ist das Kapitel der Kanzlerkandidatur von Peer Steinbrück beendet. „Du bist ein Pfundskerl“, sagt SPD-Chef Sigmar Gabriel zu ihm. Er habe einen „fantastischen Wahlkampf“ gemacht. Aber glücklich ist hier niemand. Große Ratlosigkeit. Steinbrück verspricht, der Partei weiter zu dienen. „Der Ball liegt im Spielfeld von Frau Merkel. Sie muss sich eine Mehrheit besorgen“, betont er.
Jubel gibt es hier nur, als die FDP auf unter 5 Prozent kommt. Für die SPD ist das Ergebnis „süßsauer“, wie es Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil treffend formuliert. Rot-Grün ist klar verfehlt worden - aber das andere Ziel, Schwarz-Gelb zu verhindern, wenigstens dies könnte am Ende geschafft werden - aber zum Preis einer allein regierenden Union? Gemessen am Debakel von 2009 - nach vier Jahren großer Koalition landete die SPD bei 23 Prozent - ist es zwar eine kleine Besserung für die SPD.
Und doch: Nach dem guten Schlussspurt, über vier Millionen Hausbesuchen und vollen Plätzen hatten sie sich im 150. Jahr des Bestehens der Sozialdemokratie weit mehr erhofft. Die These, dass eine Alleinregierung der Union ein Segen für die SPD sei, weil sie sich nicht in einer großen Koalition kleinmachen müsse und über die Oppositionsrolle wieder erstarken könnte, hat hier kaum Anhänger.
Der Abstand zur Union ist noch weiter gewachsen. Bei der großen Koalition 2005 lag die Union mit 35,2 zu 34,2 Prozent nur knapp vor der SPD, es agierten zwei Partner auf Augenhöhe. Das wäre im Fall der Fälle nun anders. Dabei haben die Sozialdemokraten in den Ländern inzwischen eindeutig das Sagen: In 13 von 16 Bundesländern ist die SPD an der Macht, in Hamburg regiert sie sogar allein.
Über den Bundesrat dürfte versucht werden, einer kraftstrotzenden Union die Stirn zu bieten, denn hier haben SPD, Grüne und Linke noch auf längere Zeit eine Mehrheit. Als Hauptursache für den Wahlausgang wird im Willy-Brandt-Haus vor allem fehlende Wechselstimmung und Angela Merkels Beliebtheit ausgemacht - und die Partei hat womöglich zu wenig Angebote für die Mitte gemacht. Gabriel bekräftigt am Abend, Rot-Rot-Grün sei im Bundestag keine Koalitionsoption.
Steinbrück hat sich nach holprigem Start achtbar geschlagen. Der Unmut bei den Landesfürsten der SPD richtete sich zuletzt vor allem gegen das Agieren von Parteichef Sigmar Gabriel. Ein Parteikonvent am Freitag soll nun aufzeigen, wohin die Reise der SPD gehen soll.
Als Mindestpreis für eine große Koalition kursierten im Lager der SPD-Linken vor der Wahl Forderungen wie 8,50 Euro Mindestlohn und höhere Steuern für Reiche, um Bildungsausgaben zu erhöhen. Doch bei dem Ergebnis vom Sonntag müsste die SPD eher kleine Brötchen backen. Eine Alternative könnte ja auch Schwarz-Grün und die Opposition für die SPD sein. Auf Gabriel lastet großer Druck, was die SPD machen soll - von personellen Konsequenzen will hier noch keiner sprechen.
Fakt ist: Die Option Rot-Grün scheint bis auf weiteres im Bund keine mehr zu sein. Steinbrück hat landauf landab gegen ein Auseinanderdriften der Gesellschaft geworben - aber die Spitze hadert damit, dass Merkel viele soziale Themen quasi kopiert habe und auch damit offensichtlich punkten konnte. Aber Steinbrück kritisierte auch, dass Merkel bei den guten Arbeitsmarktzahlen von den Wirkungen der Agenda 2010 profitiere - und die SPD es nicht verstanden habe, diese offensiv als ihren Erfolg zu vermarkten.