Analyse: Merkel in Syrien-Frage überrumpelt
Berlin/St. Petersburg (dpa) - Das hatte sich Angela Merkel ganz anders vorgestellt. Am Freitagnachmittag verließ die CDU-Chefin den G20-Gipfel mit dem festen Plan, zunächst innerhalb der EU eine geschlossene Haltung zum weiteren Vorgehen im Syrien-Konflikt herzustellen.
Sie ging offenbar davon aus, dass das auch ihre Kollegen aus Großbritannien, Frankreich und Italien so sehen, mit denen sie zwei Tage lang in St. Petersburg zusammengesessen hatte. Nur kurze Zeit später musste sie feststellen, dass sie sich getäuscht hatte.
Die Europäer hatten sich nach ihrer Abreise einer Erklärung von US-Präsident Barack Obama angeschlossen, die eine „starke internationale Antwort“ auf den mutmaßlichen Giftgaseinsatz in Syrien fordert. Erst am nächsten Tag, beim EU-Außenministertreffen in Vilnius, zog Deutschland eilig nach.
Eine „beispiellose Blamage“ und die „schwerste diplomatische Niederlage“ Merkels in ihrer achtjährigen Amtszeit nennt der „Spiegel“ die Panne in seiner aktuellen Ausgabe. Die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ geht nicht ganz so weit und spricht nur von einem „diplomatischen Betriebsunfall“. Auf jeden Fall werden Erinnerungen an eine andere Entscheidung wach, die der Bundesregierung großen diplomatischen Ärger eingebracht hat.
2011 enthielt sich Deutschland zusammen mit Russland und China im UN-Sicherheitsrat bei der Abstimmung über ein militärisches Eingreifen in den libyschen Bürgerkrieg. Die USA und die europäischen Verbündeten waren dafür, Deutschland war isoliert. Zwischenzeitlich mussten sogar deutsche Schiffe aus den Nato-Verbänden im Mittelmeer abgezogen werden, damit sie nicht in irgendeiner Weise in den Krieg verwickelt werden. Die Verbündeten waren verärgert. Die Bundesregierung musste sich monatelang rechtfertigen.
Acht Jahre zuvor war die Spaltung Europas noch deutlich tiefer. Damals stemmten sich Deutschland, Frankreich und Russland gemeinsam gegen den Irak-Krieg, während sich andere europäische Verbündete wie Großbritannien und Spanien der „Koalition der Willigen“ des damaligen US-Präsidenten George W. Bush anschlossen.
Die jetzt anstehende Entscheidung ist eine ganz andere. Es geht nicht um einen monatelangen Krieg, sondern um gezielte Militärschläge, die in der Syrien-Erklärung von St. Petersburg noch nicht einmal explizit genannt werden. Und während die Libyen-Enthaltung der Bundesregierung bis heute anhängt, dürfte das jetzige Zögern keine nachhaltigen außenpolitischen Folgen haben.
Es bleibt aber eine peinliche Panne für Merkel. Wie wichtig für Obama ein klares Zeichen in der Syrien-Frage schon auf dem G20-Gipfel war, lag auf der Hand. Der US-Präsident benötigt dringend Unterstützung für die Überzeugung des noch unentschlossenen US-Kongresses in Sachen Militärschlag. Dass Deutschland seine Unterschrift unter die Syrien-Erklärung zunächst nicht leistete, störte ihn offenbar nicht. Zehn Unterstützer bekam er zusammen. Das reichte ihm. Auf das Gewicht Deutschlands, wenn es um Fragen von Krieg und Frieden geht, wirft das kein gutes Licht.
Außenminister Guido Westerwelle (FDP) hatte in Vilnius die undankbare Aufgabe, diesen Eindruck abzuschwächen. Deutschland, das sich als „Anwalt der kleineren Staaten“ verstehe, habe die europäische Einigkeit in der Syrien-Frage nur nicht vorwegnehmen wollen, sagte er. „Europa zeigt in einer dramatischen und schwierigen Lage Handlungsfähigkeit.“
Für die Opposition ist die Panne im Bundestagswahlkampf trotzdem eine Steilvorlage. Grünen-Parteichefin Claudia Roth sprach von einem „abenteuerlichen Zickzackkurs“, die SPD kritisierte ein „unwürdiges Hin und Her“. Gegen den Inhalt der Erklärung von Petersburg stellten sich SPD und Grüne aber nicht.