Analyse: Merkel sucht noch nach richtigen Antworten
Berlin (dpa) - Man kennt das aus dem Privatleben: Manchmal kann es auch zwischen alten Freunden von Vorteil sein, wenn man sich eine Weile lang nicht über den Weg läuft. In der Politik sind Angela Merkel und Barack Obama gerade solch ein Fall.
Nach aktuellem Stand sehen sich Deutschlands Kanzlerin und der US-Präsident erst im Juni 2014 wieder, beim nächsten G8-Gipfel im russischen Sotschi. Vielleicht besser so. Angesichts der Spionagevorwürfe gegen die USA wäre ein Treffen derzeit wohl eine arg peinliche Veranstaltung.
Inzwischen hat kaum noch jemand Zweifel daran, dass das Handy der Kanzlerin tatsächlich abgehört wurde. Längst geht es um die Fragen dahinter. Seit wann wurde Merkel von den USA belauscht? Angeblich schon seit 2002. Wann wurde die Aktion gestoppt? Laut „Wall Street Journal“ erst in diesem Sommer. Von wo aus wurde gelauscht? Möglicherweise von einem „Spionagenest“ auf dem Dach der US-Botschaft in Berlin. Und vor allem: Seit wann wusste Obama Bescheid?
Zuverlässige Antworten gab es auch Montag noch nicht. Regierungssprecher Steffen Seibert versicherte nur: „Wir gehen allen Hinweisen nach.“ Die Botschaft selbst verweigerte weiter jeden Kommentar. Die Empfehlung, das Dach zur Besichtigung freizugeben, ignorierten die Amerikaner auch. Ohne Erlaubnis geht da gar nichts: Nach dem Wiener Übereinkommen, das die Arbeit von Diplomaten regelt, ist das Innere von Botschaften grundsätzlich tabu.
Fest steht schon, dass die Angelegenheit zu einer schweren Belastung für die deutsch-amerikanischen Beziehungen geworden ist. Noch-Außenminister Guido Westerwelle (FDP) nannte die Bespitzelung „politisch höchst schädlich“. Merkel selbst verzichtet bislang auf jedes weitere Telefonat mit Obama.
Viele in Berlin erwarten jetzt ein Wort der Entschuldigung. Der ehemalige deutsche Botschafter in den USA, Wolfgang Ischinger, meint: „Für die USA ist die ganze Affäre ein diplomatischer GAU. Das wird eine schwierige Reparaturarbeit, nicht nur gegenüber den deutschen Partnern.“ Allerdings müsse auch die deutsche Seite Konsequenzen ziehen. Wie die aussehen sollen, ist immer noch nicht klar.
Im Gespräch sind derzeit alle möglichen Dinge - von der Einsetzung eines Bundestags-Untersuchungsausschusses über die Kündigung des Swift-Abkommens, das US-Terrorfahndern den Blick auf europäische Kontodaten erlaubt, bis hin zu einem Stopp der Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen.
Fragt sich nur, was das bringt. Das Freihandelsabkommen? Davon würde Deutschland unter den EU-Staaten ganz besonders profitieren. Neue internationale Abkommen zur Geheimdienstzusammenarbeit? Könnten helfen. Dass es Regeln gibt, bedeutet nicht, dass sie eingehalten werden. Schließlich ist es schon heute verboten, dass Amerikaner auf deutschem Boden Regierungsleute abhören.
Ein Untersuchungsausschuss? Der könnte höchstens die deutschen Verfehlungen in dem Fall aufarbeiten, also die Rolle der Regierung und der deutschen Geheimdienste. Zwar wäre es auch möglich, amerikanische Zeugen zu laden - etwa Vertreter des US-Geheimdienstes NSA oder den Ex-NSA-Mann Edward Snowden. Unwahrscheinlich aber, dass die NSA-Leute dann auskunftsfreudiger sind als gegenüber der Bundesregierung. Und bei Snowden würde eine Ladung schon daran scheitern, dass niemand weiß, wo genau er sich in Russland aufhält.
Auch die Erfolgsaussichten der deutschen Delegation, die sich diese Woche in Washington erneut um Aufklärung bemühen soll, sind bescheiden. Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) kam im Sommer mit übersichtlichen Ergebnissen zurück. Ob die Amerikaner diesmal mitteilungsfreudiger sind, ist fraglich. Allerdings wächst der internationale Druck auf die USA. Das könnte vielleicht helfen. Was seit Montag fest steht: Der Bundestag wird wegen der Abhöraffäre am 18. November zu einer Sondersitzung zusammenkommen.