Analyse: Merkels historischer Schuldenschnitt
Berlin (dpa) - Die Beteiligung privater Gläubiger an der Hellas-Umschuldung war ein Kernanliegen von Kanzlerin Merkel. Sie atmet auf. Schon im April könnte es aber wieder hochhergehen, wenn bei Neuwahlen in Athen die Euro-Kritiker gewinnen sollten.
Wolfgang Schäuble ist kein Mann, der sich öffentlich Triumphgefühle leistet. „Ich bin nicht euphorisch“, sagte der Finanzminister vor den Hauptstadtjournalisten, nachdem er gerade in einer Telefonschalte mit seinen europäischen Amtskollegen einen Teil des zweiten Griechenlandspaktes freigegeben hatte.
Dass Schäuble stolz auf das Erreichte ist, ließ er aber dann doch durchblicken: „Wir haben gar nicht schlecht verhandelt“, meinte er mit Blick auf die Beteiligungsquote der Gläubiger von 85,8 Prozent am Schuldenschnitt. Das ist weniger als im Stillen erhofft, aber weit mehr als von Skeptikern befürchtet.
Kanzlerin Angela Merkel wusste schon am Donnerstagabend, dass es die Griechen geschafft haben. Sie sei „zufrieden“ mit dem „ermutigenden Ergebnis“, ließ sie ihren Sprecher Steffen Seibert am Morgen nüchtern mitteilen.
Es waren vor allem die Deutschen, die seit Sommer 2010 immer wieder auf eine Beteiligung des Privatsektors gepocht hatten - erst zwangsweise und nach massiver Kritik, und aus Angst vor den Rating-Agenturen, „freiwillig“. Merkel steckte dafür viel Prügel ein, jetzt hat sich ihr Krisenmanagement einmal mehr bewährt.
Der Preis dafür ist hoch. Auch wenn Griechenland immer wieder als Einzelfall abgetan wird und Schäuble keine Wiederholungsgefahr in anderen Euro-Länder sieht - erstmals müssen Investoren, die ihr Geld in den lange als sicher geltenden Hafen Euro-Zone angelegt haben, auf viele Milliarden verzichten. Auch dies ist einmalig und historisch.
Kritiker warfen Merkel vor, mit der politisch und aus Sicht der Steuerzahler durchaus nachvollziehbaren Forderung nach einer Privatgläubigerbeteiligung die Euro-Krise angeheizt zu haben. Denn schnell machte die Angst die Runde, dass nach Griechenland auch andere Problemländer in der Euro-Zone einen Schnitt machen könnten. Große Anleger traten in einen Käuferstreik und machten um Schuldtitel aus der Euro-Zone einen Bogen. Auch für Banken galt es als undenkbar, Staatspapiere eines Euro-Land einmal abschreiben zu müssen.
Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann nannte den Schuldenschnitt einen Sündenfall, der Europa noch teuer zu stehen komme - auch in Form höherer Zinsen, die Investoren von vielen Regierungen verlangen werden. „Die Erwartung war, dass Staatsanleihen zu 100 Prozent zurückgezahlt werden. Dieses Prinzip wurde verletzt - und zwar entgegen allen Aussagen, die zuvor gemacht worden waren.“ Die Banken zogen am Ende murrend mit: „Das ist so freiwillig wie ein Geständnis in der spanischen Inquisition“, monierte Commerzbank-Chef Martin Blessing.
Nun klappt nach langer Zitterpartie der „freiwillige“ Schuldenschnitt weitgehend. Eine Minderheit privater Gläubiger wird womöglich zwangsweise zur Umschuldung gedrängt. Trotz des „Schönheitsfehlers“ Zwangsumtausch ist das ewige Poker-Spiel zwischen Politik, Banken, Hedgefonds und Ratingagenturen vorerst beendet. Die befürchtete ungeordnete Staatspleite Athens mit unabsehbaren Folgen für die Euro-Zone und die Weltkonjunktur ist weniger wahrscheinlich.
Übertriebener Jubel machte sich an diesem historischen 9. März aber nicht breit. Viele Experten sprachen von einem „Etappensieg“. Das Hellas-Drama geht weiter - und zwar noch viele Jahre. Immerhin ist klar, dass der Internationale Währungsfonds (IWF), der einen Ausstieg geprüft haben soll, weiter mitzieht. Schäuble sprach von einem „bedeutenden Beitrag“.
Fraglich bleibt, ob Griechenland die ehrgeizigen Wachstums-, Haushalts- und Defizit-Ziele bis Ende 2014 auch erreicht, um sich wieder selbst Geld an den Märkten zu beschaffen. Ein drittes Rettungspaket von 50 Milliarden Euro steht weiter im Raum. Noch am Freitag, wenige Stunden nach Bekanntgabe der Beteiligungsquote kam aus Athen eine neue Hiobsbotschaft: Die Wirtschaft stürzte Ende 2011 mit einem Minus von 7,5 Prozent stärker ab als befürchtet.
Für April sind Neuwahlen in Athen angesagt - mit ungewissem Ausgang und dem drohenden Aus für das gesamte Hilfskonstrukt. Auch die Wahlen in Paris, wo der Sozialist François Hollande klare Siegchancen gegen Präsident Nicolas Sarkozy hat, könnten das Erfolgsduo „Merkozy“ auseinanderreißen - und den Euro-Rettern bei Fiskalpakt und Rettungsschirmen einen dicken Strich durch die Rechnung machen.