Analyse: Merkels Wettlauf gegen die Zeit

Berlin (dpa) - Also wieder zur frostigen CSU. Schon zum zweiten Mal in 15 Tagen kommt Angela Merkel an diesem Mittwoch ins verschneite Wildbad Kreuth. Nach den Bundestagsabgeordneten macht die Kanzlerin der christsozialen Landtagsfraktion eine Extra-Aufwartung, um für ihre Flüchtlingspolitik zu werben.

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Dabei ist das Gelände zwischen der CDU-Chefin und der bayerischen Schwesterpartei längst großflächig vereist. Die CSU lässt nicht locker und droht weiter, um Merkel zu einem härteren Vorgehen zu zwingen. Auch die SPD geht in der Berliner Koalition schon auf Sicherheitsabstand. Merkels Nahziel heißt vor allem: Einige Wochen Zeit gewinnen, um ihren Plan A doch noch zu retten.

Dass Ungeduld und Nervosität auf allen Seiten wachsen, spüren sie im Kanzleramt und in der CDU-Zentrale. Denn die europäische Lösung, die Merkel hartnäckig verfolgt, zieht sich mühsam hin. Dass sie plötzlich in Kreuth einknickt und das Ruder herumreißt, erwarten aber nicht einmal CSU-Hardliner.

Klarheit über Merkels Erfolgsaussichten auf internationaler Ebene soll nun der Kalender bis Ende März bringen - auch für sie selbst. Denn trotz ihrer erklärten Asylpolitik „mit freundlichem Gesicht“ muss sich die Kanzlerin an ihrem Versprechen messen lassen, dass die Zahl der neuen Flüchtlinge spürbar heruntergeht. Und zwar schnell.

Da sind schon an diesem Freitag die ersten Regierungskonsultationen mit der Türkei. Die Regierung in Ankara soll mehr europäisches Geld für die Versorgung von Flüchtlingen in türkischen Lagern bekommen. Und mit dafür sorgen, dass sich nicht so viele Menschen in Richtung EU aufmachen. Am 4. Februar folgt in London eine Geberkonferenz zur Bekämpfung von Fluchtursachen im Bürgerkriegsland Syrien. Und dann sind da die entscheidenden EU-Gipfel am 18./19. Februar und am 17./18. März, bei denen sich zeigen muss, ob es doch noch etwas wird mit dem Verteilen von Flüchtlingen auf mehrere EU-Mitgliedsstaaten.

Danach wird Zwischenbilanz gezogen, wie Regierungssprecher Steffen Seibert sagt. „Und daraus folgt dann, wie es weitergehen muss.“ Im Fall der Fälle also ein Plan B? Was das bedeuten könnte, ist vorerst Spekulation. Offen will darüber in Merkels Umgebung ohnehin niemand reden - würden jetzt schon Alternativen ausgebreitet, arbeite ja keiner mehr ernsthaft an Plan A, lautet das strategische Kalkül.

Doch ein Wendepunkt dürfte die Mainzer CDU-Vorstandsklausur Anfang Januar gewesen sein. Dort hieß es erstmals unzweideutig, die gerade etwas gesunkenen Flüchtlingszahlen dürften nicht wieder hochgehen, wenn im März das Wetter in der Ägäis besser wird - sonst sei eine spürbare Reduzierung sowieso illusorisch.

Immer deutlicher zeigt sich mittlerweile, dass es für Merkel wohl doch eine spezielle Obergrenze gibt. Zwar nicht wie von der CSU gefordert für die Zahl der ins Land kommenden Flüchtlinge. Aber doch bei ihrer Geduld mit sperrigen EU-Partnern. Wenn hier nach den ersten drei Monaten 2016 alles Reden nicht geholfen hat, werde man über Alternativen nachdenken müssen, wurde schon in Mainz signalisiert.

Die rheinland-pfälzische CDU-Wahlkämpferin Julia Klöckner gewährte erst am Montag einen Einblick in den politischen Notfallkasten. Man könne nicht ewig auf die Zustimmung aller in der EU warten. „Dann brauchen wir eben eine Koalition der Willigen.“ Doch für härtere Bandagen auf EU-Ebene ist die Zeit aus Sicht Merkels noch nicht reif.

Auch innenpolitisch sind es Wochen der Wahrheit. Merkels Beliebtheitswerte sind in ungewohnte Tiefen gesackt. In der Union scheint ihr überwältigender Rückhalt beim Karlsruher CDU-Parteitag Mitte Dezember wieder geschwunden. Am Montag mussten Kritiker im CDU-Vorstand eigens diszipliniert werden. In der Bundestagsfraktion brodelt es weiter. Auch aus Kreuth schickten CSU-Landtagsabgeordnete lieber schon mal einen mahnenden Brief an Merkel voraus.

Nach der CSU sendet auch die SPD deutlich skeptischere Signale. In der Koalition verhaken sich Forderungen zu Asyl-Verschärfungen und Integration. Ein wichtiger Stimmungstest sind da die Landtagswahlen am 13. März in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt. Bis dahin setzt der Führungszirkel um Merkel darauf, die Nerven zu behalten. Am Ende werde beim Wähler nur zählen, die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren. Dann könnten auch zur rechtspopulistischen AfD abgewanderte Wähler zurückkehren, hoffen sie in der CDU-Spitze.