Analyse: Milliarden für Athen noch nicht frei
Brüssel/Berlin (dpa) - Die erste Erleichterung nach dem Ja des griechischen Parlaments zum Sparpaket war groß: Die Rohstoff-Preise kletterten nach oben, der Deutsche Aktienindex legte zum Börsenstart ebenso zu wie der Euro.
Für andere Euro-Krisenländer sanken die Zinskosten.
Die mühsam erkämpfte Zustimmung beflügelte zumindest am Montagmorgen die Märkte. Doch in der Politik herrschen Zweifel. Die gewaltsamen Proteste und politischen Querelen in Athen lassen wenig Vertrauen in eine Lösung des Griechenland-Dramas wachsen.
In der schwarz-gelben Bundesregierung und Koalition wird ohnehin vor zu viel Euphorie gewarnt - im Berliner Kabinett durchaus in recht unterschiedlicher Tonlage. Denn anders als Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sprechen ihr Vize Philipp Rösler (FDP) und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) offen über eine weiter mögliche Pleite Athens oder gar den Austritt aus der Euro-Zone, der nicht mehr als Weltuntergang gilt. Rösler: „Der Tag X verliert zunehmend an Schrecken.“
Eine Wortwahl, die Merkel so gar nicht passen dürfte: „Die Bundeskanzlerin denkt nicht in solchen Kategorien“, sagte ihr Sprecher Steffen Seibert knapp und stellte nochmals klar: Die Kanzlerin werde sich an keinem Versuch beteiligen, Griechenland aus der Euro-Zone „herauszuschubsen“. Punkt. Eine Staatspleite oder gar der Rauswurf aus dem Euro-Club ist damit aber längst nicht vom Tisch.
Denn mit dem grünen Licht aus Athen ist allenfalls ein Schritt in die richtige Richtung getan. Die griechischen Politiker haben den Ball an die Euro-Finanzminister zurückgespielt, die sich an diesem Mittwoch (15.2.) in Brüssel treffen, um über neue Hilfsmilliarden zu beraten. Das Ja des Athener Parlaments macht aber keinesfalls automatisch den Weg frei für neue Finanzspritzen.
Die Euro-Minister haben drei Bedingungen gesetzt - und erst eine ist mit dem Parlamentsvotum erfüllt. Bis Mittwoch sollen sich die an der Übergangsregierung beteiligten Parteien noch schriftlich zu den Reformen bekennen, unabhängig vom Ausgang der Wahlen im April. Doch die Zustimmung bröckelt, die rechtskonservative Partei LAOS ist schon abgesprungen. Offen ist, wer vom Frühjahr an überhaupt Ansprechpartner für die Euro-Helfer und den Internationalen Währungsfonds (IWF) ist. Auch Einsparungen von zusätzlich 325 Millionen Euro allein in diesem Jahr müssen noch erbracht werden.
Auf dem Papier stehen zwar Zusagen, doch entscheidend ist die Umsetzung. Bislang haperte es daran. So mehren sich die Zweifel in der EU-Hauptstadt Brüssel ebenso wie in Berlin. Unklar ist noch, ob die geplanten Einschnitte von 3,1 Milliarden Euro in diesem Jahr komplett durch Maßnahmen unterlegt sind. Bis zuletzt wurde über Rentenkürzungen gestritten. Wie hoch die Beteiligung der privaten Gläubiger an dem Schuldenerlass von 100 Milliarden Euro ist, dürfte wohl erst Ende Februar feststehen - sie ist aber Voraussetzung für das zweite Hilfspaket von 130 Milliarden Euro, um den Bankrott abzuwenden.
Die endgültige Entscheidung über das zweite Athen-Paket dürfte nach Einschätzung von EU-Diplomaten und Berlins erst Anfang März fallen - die letzte Chance könnte der EU-Gipfel sein. Bei den Euro-Partnern wächst die Skepsis, ob das Land überhaupt reformfähig ist. „Was wir brauchen, ist eine wirkliche Staatsreform, die den griechischen Staatsapparat in seiner Ausdehnung begrenzt“, mahnt der Chef der Liberalen im EU-Parlament, der frühere belgische Premier Guy Verhofstadt, in einem offenen Brief an Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker. Auch die Privatisierung stocke erheblich.
Die Nerven liegen nach zweijährigen, bisher erfolglosen Rettungsbemühungen blank. Auf die Frage, ob er und seine Amtskollegen die Geduld mit Athen verlieren, fiel die Antwort von Juncker jüngst denkbar knapp aus: „Ja.“
Mehr als fraglich ist, ob Griechenland angesichts der immer wieder nach unten korrigierten Zahlen zur Wirtschaftsleistung seine Schuldenlast bis zum Jahr 2020 auf 120 Prozent der Wirtschaftsleistung drücken kann. Dann soll Athen seine Schulden wieder selbst abzahlen können. Ist diese Schuldentragfähigkeit nicht gegeben, dürfte der IWF eigentlich kein frisches Geld mehr nachschießen. Auch für die Euro-Partner würde es dann schwierig, weitere Milliarden für Athen freizugeben. Das Fass ohne Boden, vor dem Schäuble warnt, wäre sonst erreicht.
Die Zeit läuft aus - auch weil dem griechischen Volk der Geduldsfaden reißen könnte. EU-Währungskommissar Olli Rehn appellierte am Montag an die Griechen, langen Atem zu beweisen: „Das wird einige Zeit dauern und viele Anstrengungen des griechischen Volkes nötig machen.“ Volkswirte bringen die Sache noch deutlicher auf den Punkt: „Die Frage ist, ob der soziale Friede lange genug hält, damit die Politik eine wirtschaftlich vernünftige Lösung findet“, meint Sony Kapoor von der Denkfabrik Re-Define.