Analyse: Moskau sieht sich in Syrienkrise bestätigt

Moskau (dpa) - Gleich zweimal kurz hintereinander dürfte Kremlchef Wladimir Putin überrascht gewesen sein. Erst verzichten die Briten auf einen Militärschlag gegen Syrien, nun zögert US-Präsident Barack Obama - auch für Russland völlig unerwartet - mit der angedrohten Bombardierung des Bürgerkriegslands.

Das politische Moskau fragt sich, ob die russischen Warnungen vor einer westlichen Militärintervention endlich Gehör finden. Auch beim G20-Gipfel in St. Petersburg an diesem Donnerstag und Freitag (5./6. September) will Putin mit den Staats- und Regierungschefs über Syrien sprechen.

Schon vor seinem Treffen mit Obama am Finnischen Meerbusen appelliert Putin, der US-Kollege möge sich an seinen Friedensnobelpreis erinnern, an die möglichen neuen Kriegsopfer denken und auf ein Eingreifen verzichten. Der Kremlchef bezeichnet es als „absoluten Unfug“ und „unlogisch“, dass der syrische Machthaber Baschar al-Assad, ein enger Verbündeter Russlands, Chemiewaffen gegen das eigene Volk eingesetzt haben soll.

Auch Assad sei seit langem klar, dass ein Giftgaseinsatz einen Vorwand für einen US-Angriff liefern würde. Deshalb, so Putins Argumentation, könnten nur die Gegner Assads Chemiewaffen eingesetzt haben. Ziel dieser Provokation sei es, den Westen in den Konflikt hineinzuziehen. Und Putin warnt einmal mehr, in dem Konflikt einseitig auf die Gegner Assads zu setzen. Die seien nämlich islamistische Terroristen. Zugleich bietet Putin auch an, bei der Bekämpfung von Chemiewaffen stärker international zusammenzuarbeiten.

Seit Tagen setzt Russland alle Hebel in Bewegung, um den Westen vor einem Militärschlag gegen Syrien abzubringen. Eine Bombardierung führe geradewegs zu einer riesigen Katastrophe für den Nahen Osten und die am Militärschlag beteiligten Länder, heißt es beim Nationalen Sicherheitsrat. Dabei warnt Moskau vor allem vor dem iranischen Einfluss in dem Konflikt.

„Der Iran wird das Regime in Damaskus bis zum Ende unterstützen“, meint der prominente Außenpolitik-Experte Fjodor Lukjanow. „Ich kann mir gut vorstellen, dass der Iran alle seine Möglichkeiten ausschöpft, um terroristische Handlungen zu aktivieren und den USA Gegenschläge zu verpassen“, sagt der Chefredakteur der offiziellen Zeitschrift „Russland in der globalen Politik“.

Der Iran werde US-Schläge gegen Syrien auch als Versuch werten, die Position Teherans in der Region zu schwächen, sagt der frühere Chef des russischen Sicherheitsrats, Andrej Kokoschkin. Der Dekan der Moskauer Fakultät für Weltpolitik meint, dass der Iran zum Schutz vor solchen Interventionen tatsächlich nach Atomwaffen streben könnte.

Nicht zuletzt warnt Russland den Westen etwa auch vor der starken Luftabwehr der Syrer. Selbst eingreifen werde das Riesenreich aber nicht, betonen Diplomaten in Moskau. Dass nun die Marinepräsenz mit Kriegsschiffen der Schwarzmeerflotte verstärkt worden sei, diene allein dem Schutz eigener Anlagen in der Region. In der syrischen Hafenstadt Tartus unterhält Moskau seit 1977 eine Basis - die letzte im fernen Ausland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion.

Verlieren will Russland Syrien als letzten Verbündeten und treuen Waffenkunden in der Region nicht. Wohl auch deshalb spielt Moskau weiter auf Zeit. Russland sieht einen Ausweg weiter nur in einer politischen und nicht militärischen Lösung des Konflikts. Moskaus Ziel ist es, alle Seiten zum Dialog an einen Tisch zu bringen, um über freie und faire Wahlen einen geordneten Ausweg zu finden. „Die USA müssen den Krieg verschieben“, meint der einflussreiche russische Außenpolitiker Alexej Puschkow. Er sieht Obama dadurch geschwächt.