Analyse: Moskau unterstützt Kiewer Machthaber
Sotschi (dpa) - In Sotschi ließ Kremlchef Wladimir Putin schon vor der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele mitteilen, dass er sich weiter auch um Konflikte wie in der Ukraine kümmern wolle. Als „Herr der Ringe“ empfing er am Schwarzen Meer seinen Kiewer Kollegen Viktor Janukowitsch.
Worüber die beiden sprachen, ist bis heute unklar. Aber Beobachter vermuteten, dass der Ex-Geheimdienstchef Putin dem Ukrainer Lösungswege für die Krise in der Ukraine aufzeichnete.
Putin hat immer wieder Verständnis dafür gezeigt, wenn eine gewählte Führung gegen gewaltbereite Demonstranten vorgeht. Auch in Kiews blutiger Nacht zum Mittwoch schalteten sich die beiden Präsidenten per Telefon kurz. Putin ließ die Janukowitsch-Gegner als Extremisten anprangern, die einen Staatsstreich geplant hätten.
Die Gewalt in Kiew eskalierte, nachdem Russland der ukrainischen Führung die nächste Tranche zugesagter Milliardenhilfen in Aussicht stellte. Moskau verlangt im Gegenzug für seine Investitionen klare Verhältnisse beim Nachbarn. Viele Russen sehen die Ukraine bis heute als ihr Einflussgebiet an. Dass zur Abwehr wie auch immer gearteter Angriffe auf den Staat alle Mittel gerechtfertigt seien, hat Putin auch im Syrienkonflikt oft und laut betont.
In Kiew passiere jetzt das, was auch Libyen und Syrien erlebt hätten: Am Anfang Provokationen, dann ein blutiger Konflikt, meinte der Vizechef des Auswärtigen Ausschusses der Staatsduma, Leonid Kalaschnikow. Janukowitsch habe lange gezögert. Noch gebe es aber die Chance, die Ordnung wieder herzustellen. Kalaschnikow wirft dem Westen vor, die „falschen Kräfte“ in der Ukraine zu unterstützen.
Staatsmedien und Kreml stellen die Opposition in Kiew seit Wochen als wilde Horden gewaltbereiter Rechtsextremer hin, die keinen Plan für die Zukunft der Ex-Sowjetrepublik hätten. Moskaus bekannter Ultranationalist Wladimir Schirinowski sprach unlängst aus, was wohl viele Russen denken: Das harte Durchgreifen gegen Brandschatzer und Randalierer sei nur gerechtfertigt.
„Sie werden noch erfahren, was für einer Janukowitsch ist“, donnerte Schirinowski in einer Fernsehshow. Er solle nur nicht mit Patronen für seine Gegner sparen: „Und wir werden die Patronen schicken. Anstelle von Geld werden wir Patronen geben.“ Der Kreml ließ diese Tiraden unkommentiert.
Zwar ist die Vetomacht im Weltsicherheitsrat bekannt für Appelle, sich nicht in innere Konflikte einzumischen. Im Fall der Ukraine aber, die Russland als Bruderstaat sieht, sei diese Position aber voller Widersprüche, meinte die Politologin Lilija Schewzowa vom Carnegie Center in Moskau. Janukowitsch könne bei den seit November andauernden Protesten nicht mehr zusehen, seine Gefolgsleute forderten Führungsstärke ein, sagte der Moskauer Politologe Gleb Pawlowski.
Das russische Staatsfernsehen übertrug auch die Gewalt am Maidan in Kiew. Traditionell sollen Bilder von revolutionärem Chaos und Blut - auch aus anderen Teilen der Welt - die Russen abschrecken. In dem selbst reichlich revolutions- und putscherfahrenen Volk ist die Meinung verbreitet, dass Putin doch für Stabilität sorge.
Die Zeitung „Nesawissimaja Gaseta“ kommentierte allerdings mit Blick auf das geopolitische Gezerre um die Ex-Sowjetrepublik, dass Russland anders als der Westen nicht mit offenen Karten spiele. Auf dem Maidan in Kiew gehört es zu den schlimmsten Befürchtungen, dass Russland sich mit Scharfschützen oder Söldnern beteiligen könnte am Vorgehen gegen die Opposition. Die sozialen Netzwerke im Internet sind voll von solchen Gerüchten. Auch der nach Misshandlungen ausgereiste Oppositionelle Dmitri Bulatow sagte unlängst, dass er seine Peiniger für Putins Gesandte hielt.
Die auch bei deutschen Lesern bekannte ukrainische Schriftstellerin Oksana Sabuschko sieht angesichts früherer Einsätze russischer Geheimdienstleute die Gefahr, dass Moskau auf eine gewaltsame Lösung des Konflikts setzt. „Putin will sich rächen an der Ukraine für seine Niederlage bei der Orangenen Revolution vor zehn Jahren. Seine Geheimarmee ist schon hier“, schrieb sie in einem offenen Brief.