Analyse: Neue Generation auf Belgiens Thron

Brüssel (dpa) - Kaum ein Belgier hatte es geglaubt. Mit der Abdankung von König Albert II. und der Inthronisierung seines Sohnes Philippe ist der 182 Jahre alten Monarchie ein völlig unbelasteter Generationswechsel gelungen.

Glückliche Gesichter, Tränen der Rührung und ein jubelndes Volk bestimmten den Sonntag im Brüsseler Schloss und auf den Straßen. Das Königswetter mit strahlendem Sonnenschein und heißen Temperaturen lud zum Feiern ein. Für einen Tag schienen die Menschen den politischen Streit zwischen Flamen und Wallonen genau so wie die royalen Skandale der jüngsten Zeit zu vergessen. Tausende säumten fahnenschwenkend die Straßen und riefen: „Es lebe der König.“

Das war nicht immer so. Seit dem 19. Jahrhundert waren Thronwechsel in Belgien oft von Trauer und Krisen überschattet. Alberts Vater Leopold III. war 1951 zur Abdankung gezwungen, weil er durch seine Rolle während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg zu einer höchst umstrittenen Figur im eigenen Lande geworden war. Andere Vorgänger starben im Amt. Unvergessen der letzte Thronwechsel im Jahr 1993, als der vom Volk tief verehrte König Baudouin plötzlich an Herzversagen starb. Da er kinderlos war, musste sein Bruder Albert einspringen - die Feiern waren von landesweiter Trauer überschattet.

„Es ist das erste Mal, dass es einen glücklichen Übergang gibt“, resümiert der Historiker Vincent Dujardin. Noch im April blickten die Belgier auf das Nachbarland Niederlande, wo der neue König Willem-Alexander und seine strahlende Frau Máxima mit viel Glanz gefeiert wurden. „Nicht möglich bei uns“, lautete damals das etwas düstere Fazit.

Knapp drei Monate später stellen die Belgier überrascht fest, dass sie mit Philippe einen vergleichsweise jungen König haben - der mit seiner Frau Mathilde (40), einer ebenso selbstbewussten wie glamourösen Mutter von vier Kindern, ein starkes Team bildet.

Beim Auftritt auf dem Schlossbalkon standen Philippe und Mathilde Seite an Seite, den Arm umeinander gelegt. Sie gaben sich mehrfach Küsschen, während sie winkten. In seiner Rede vor dem Parlament lobte Philippe seine Frau für ihre Warmherzigkeit: „Du hast einen angeborenen Sinn für menschlichen Kontakt.“ Mathilde zog mit einem raffinierten elfenbeinfarbenen Kleid aus dem Modehaus Natan die Blicke auf sich.

Auch bei der Abdankung gab es viele Emotionen: Als König Albert II. im festlich geschmückten Thronsaal des Schlosses die Abdankungsurkunde unterschrieb, zitterte seine Hand. Dem 79-Jährigen brach die Stimme, als er seiner Frau Königin Paola dafür dankte, dass sie ihn in den vergangenen 20 Jahren seiner Regentschaft stets unterstützt habe: „Ich möchte ihr einfach sagen: Danke und ein großer Kuss.“ Da weinte Paola vor Rührung, auch Mathilde wischte sich verstohlen die Tränen weg.

Eigentlich geht es bei offiziellen Zeremonien in Belgien eher nüchtern zu. Europas gekrönte Häupter waren nicht eingeladen. Dem neuen König fehlen jegliche Insignien der Macht wie Zepter, Krone oder Königsmantel. Selbst der Thron ist nicht echt - er wurde für Leopold II. (1835 bis 1909) angefertigt und wird nur bei ganz besonderen Anlässen genutzt.

Philippe wirkte bei der Vereidigung im Parlament angespannt und etwas verloren auf seinem goldenen Sessel. Der neue König war bei der Zeremonie sichtlich nervös und konnte die Hände nicht still halten. Aufmunterung gab es von seinem Vater: „Du selbst und deine liebe Frau Mathilde haben unser ganzes Vertrauen.“

Am Festtag hatte sich die ganze königliche Familie versammelt. Königin Fabiola (85), die betagte Witwe von Baudouin, erschien im Rollstuhl. Vergessen die Affäre um ihre Familienstiftung zugunsten angeblich bedürftiger Neffen, mit der sie sich zu Jahresbeginn den Vorwurf einhandelte, Steuergelder zweckzuentfremden. Als Konsequenz musste das Königshaus Abstriche bei den öffentlichen Unterhaltszahlungen hinnehmen, die bis dahin 14,3 Millionen Euro erreichten. Auch der jüngere Bruder von Philippe, Prinz Laurent (47) nahm teil - er gilt als Enfant terrible des belgischen Königshauses. Selbst die Affäre um König Alberts angebliche uneheliche Tochter schien vergessen. Doch nur für kurze Zeit: Ihre Vaterschaftsklage wird im September vor Gericht weiter verhandelt.