Analyse: Neuwahl ist Vorbote für neue Farbenspiele im Bund
Berlin (dpa) - Für die Parteien im Bund gelten sie als Vorboten: Wahlen in Nordrhein-Westfalen.
Als die SPD 2005 ihr Stammland NRW an die CDU verlor, riefen der damalige Kanzler Gerhard Schröder und sein SPD-Fraktionschef Franz Müntefering vorgezogene Wahlen im Bund aus, um sich des Vertrauens der Bürger in Rot-Grün zu vergewissern. Am Ende war CDU-Chefin Angela Merkel Bundeskanzlerin. Die Republik hatte sich schwarz gefärbt. Und begonnen hatte es mit der Abwahl von Rot-Grün im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW.
Offiziell gewinnt Merkel der nun anstehenden Neuwahl in Nordrhein-Westfalen Positives ab. 2010 hatte eine rot-grüne Minderheitsregierung unter Hannelore Kraft (SPD) die CDU an Rhein und Ruhr wieder abgelöst. Es sei gut und richtig, wenn es dort keine solche Regierung mehr gebe, die immer neue Schulden mache, meinte Merkel am Mittwoch in Berlin. Allerdings stehen die Zeichen für eine Neuauflage von Rot-Grün laut Umfragen bestens - und zwar diesmal nicht in der Minderheit, sondern mit einer satten Mehrheit. Intern verdrehen CDU-Mitglieder deshalb die Augen über die von der NRW-FDP am Mittwoch ausgelöste Auflösung des Landtags in Düsseldorf.
Die FDP könnte laut Umfragen an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Schwarz-Gelb wäre nicht machbar. Ein Vorbote für den Bund? Die nächste reguläre Bundestagswahl ist 2013. Merkel hat von Altkanzler Helmut Kohl (CDU) viel gelernt, aber auch von Schröder. Und dessen Vorstoß in Richtung vorgezogene Wahl im Bund war nach ihrer Ansicht ein schwerer Fehler. Sie ist überzeugt, dass sich Schröders Chancen mit der Zeit wieder verbessert hätten. Merkel hat Ausdauer. Sie kann - wie Kohl - Probleme aussitzen. Sie wartet einfach ab.
Und so sagt ihr Regierungssprecher Steffen Seibert auf die Frage, ob man so weit gehen könne, dass Merkel eine vorzeitige Wahl in die Wege leiten werde, nur: „Man kann nicht so weit gehen.“ Man weiß aber nicht, wie weit die FDP im Bund noch gehen muss, um wieder Tritt zu fassen. Fliegt sie im Saarland Ende März und im Mai in Schleswig-Holstein und NRW aus dem Parlament, dürfte es um ihren Parteivorsitzenden Philipp Rösler geschehen sein. Ungünstig für Merkel, dass Rösler auch noch Vizekanzler und Wirtschaftsminister ist, der sich mit voller Kraft der historischen Energiewende widmen muss.
Und damit ist man bei Bundesumweltminister und NRW-CDU-Landeschef Norbert Röttgen. Kündigt er an, im Falle eines Wahlsiegs von Rot-Grün in Berlin zu bleiben, dürfte er in NRW schon jetzt Wähler und auch CDU-Mitglieder verprellen. Verspricht er aber, auch als Oppositionsführer nach Düsseldorf zu gehen, wäre er ein Bundesumweltminister auf Abruf. Für die Energiewende, vor allem für die stockenden Bund/Länder-Gespräche über einen Neustart bei der Endlagersuche für hochradioaktiven Atommüll, wäre das wenig dienlich.
Und als Oppositionsführer im Landtag von Nordrhein-Westfalen wäre er für mehrere Jahre weit weg vom Berliner Politikbetrieb. Ihm wird nachgesagt, dass er gerne einmal Merkels Nachfolger werden würde. Röttgen ist bemüht, jeden Eindruck zu verwischen, für seine Karriereplanung sei die Entwicklung in Düsseldorf ein Alptraum - wie CDU-Mitglieder über den selbstbewussten Röttgen seit langem erzählen.
Sozialdemokraten im Bund sind über die Volte in NRW überrascht, aber keineswegs unglücklich. Die SPD könnte eine fulminante Serie in den Ländern krönen. Seit dem schwarz-gelben Wahlsieg 2009 und dem SPD-Absturz auf historisch schlechte 23 Prozent hat sie bei acht Wahlen eine Regierungsbeteiligung errungen oder verteidigt. Damit ist sie jetzt an 10 der 16 Landesregierungen beteiligt.
Ein stabiles rot-grünes Bündnis an Rhein und Ruhr würde ihrer Ansicht nach das Signal aussenden: Rot-Grün ist bundesweit im Aufwind. Bundes-Vize Hannelore Kraft, die beim SPD-Parteitag im Dezember das beste Wahlergebnis erzielte, würde ihre Position stärken und womöglich sogar als Kanzlerkandidatin ins Spiel gebracht werden.
Bei den Grünen herrscht Hochstimmung. Die Negativschlagzeilen wegen des noch ungelösten Führungsproblems bei der Ökopartei im Bund rücken in den Hintergrund. Plötzlich wird die Strategie, trotz aller Eigenständigkeit mit Blick auf 2013 voll auf die rot-grüne Karte zu setzen, weiter bestätigt. Wahlkämpfe bergen zwar immer Risiken. Aber nach einer großen Koalition sieht es in Düsseldorf nicht aus. Und Schwarz-Grün? Gelänge Röttgen dieser Coup, würden die Farben auch im Bund womöglich gemischt - und der CDU-Vize wäre der große Gewinner.