Analyse: Norbert Röttgen und das Super-Schlamassel

Berlin (dpa) - Alternativlos ist ein ziemlich abgedroschenes Wort. Norbert Röttgen benutzt es nicht, aber seine Verteidigungsreden zum Biosprit E10 lassen sich in etwa so zusammenfassen: dass es zum Sprit mit Ethanol aus Getreide und Zuckerrüben keine Alternative gibt.

Weg vom Öl, mehr Klimaschutz, lauten Röttgens zentralen Argumente. Wie oft der 45 Jahre alte Bundesumweltminister in den letzten Tagen an der Tankstelle war, ist nicht bekannt. Sein Dienstwagen tankt ohnehin Diesel. Trotz vieler ratloser Verbraucher an der Zapfsäule gibt er sich unbeirrt: „Die konkrete Einführung von E 10, das Tempo, die Produktwerbung, die Preisgestaltung ist Sache der Ölkonzerne. Sie dürfen sich ihre Fehler bei der Einführung nicht vom Verbraucher bezahlen lassen“, lässt er via „Bild“-Zeitung wissen.

Und der CDU-Vize betont immer wieder: Es gebe keinen Zwang, E10 einzuführen. Die Konzerne hätten sich selbst entschieden, damit die Biokraftstoffquote von 6,25 Prozent zu erfüllen. Zudem würden 93 Prozent aller Benzin-Autos ohnehin den Biosprit vertragen.

E10 ist plötzlich zu seiner großen Bewährungsprobe geworden und nach Ansicht von FDP-Fraktionsvize Patrick Döring hat er bisher außer „Durchhalteparolen“ wenig zu bieten. Die Opposition fragt, warum all die Defizite nicht vor der Einführung bedacht und Mineralöl- wie Autoindustrie im Vorfeld stärker in die Pflicht genommen wurden.

Und zu allem Überfluss sorgte Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) in Röttgens Haus für erhebliche Verstimmungen, als er dem für E10 zuständigen Minister mit der Einberufung eines „Benzingipfels“ zuvorkam. Böse Zungen in Berlin behaupten, Röttgen sei als CDU-Landeschef in Nordrhein-Westfalen zu sehr mit seinen Gedanken in Düsseldorf, was Röttgens Ministerium energisch dementiert.

Brüderle aber muss sich fragen lassen, was er in der E10-Krise zu bieten hat, außer den recht unrealistischen Vorschlag, das Kraftfahrt-Bundesamt solle jeden Autofahrer verbindlich mit Angaben zur E10-Verträglichkeit des eigenen Fahrzeugs versorgen. Der KBA-Präsident wies das Ansinnen prompt zurück, weil man auch keine Kenntnisse über die Verträglichkeit des Kraftstoffs habe.

Brüderle kann sich anders als Röttgen eine befristete E10-Aussetzung vorstellen, um in den nächsten Monaten Klarheit über die Verträglichkeit zu schaffen und um Autofahrern Ängste zu nehmen. Wie eine solche „Atempause“ aber aussehen könnte, ist unklar. Es scheint derzeit wieder der alte Konflikt zwischen Wirtschafts- und Umweltministerium in Energiefragen aufzuflammen. Schon bei den Atomlaufzeiten gerieten beide aneinander. Röttgen wollte weniger als die dann vereinbarten längeren Laufzeiten von durchschnittlichen zwölf Jahren.

Röttgen, Vater von drei Kindern, betont gerne: „Wir müssen eine Politik mit den Augen unserer Kinder und Enkel machen“. Die Frage, wie kommt man vom immer knapper werdenden Öl weg, treibt ihn um. Doch ob seine Biosprit-Strategie das richtige Mosaiksteinchen dafür und für mehr Klimaschutz ist, scheint fraglich.

Der Volljurist, der sagt, man müsse wieder mehr Politik für und mit den Bürgern machen, muss sich vorhalten lassen, eine Umweltpolitik gegen Millionen von E10-Muffeln durchziehen zu wollen. Hinzu kommt, dass die Deutschen wenig so bewegt wie die Spritpreise, auch wenn es sicher Wichtigeres gibt. Aber durch die Libyen-Krise sind sie auf über 1,50 Euro gestiegen und die Skepsis bei E10 führt zu einem Ansturm auf das bis zu acht Cent teurere Super Plus.

Der von Röttgen oft gescholtene Vorgänger im Ministerium am Alexanderplatz, der heutige SPD-Chef Sigmar Gabriel, hatte das Problem einer mangelnden E10-Akzeptanz 2008 erkannt und den ersten E10-Versuch abgesagt. Damals wie heute galten knapp drei Millionen Autos als untauglich für E10, obwohl in der Zwischenzeit hunderttausende Altautos per Abwrackprämie entsorgt worden sind.

Gabriel betont mit Blick auf die Gründe für den Käuferstreik bei E10: „Nichts davon ist neu, keine Frage, kein Argument.“ Statt weiter auf Biokraftstoffe zu setzen, sei es klüger, „die Elektro-Mobilität voranzutreiben“. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin nutzt die Gelegenheit und wärmt seine Fehde mit Röttgen, einem seiner Nachfolger im Umweltministerium, wieder auf. Er bezeichnet Röttgen in der E10-Krise als „Totalausfall“. Röttgen war bis zum Benzingipfel über das Karnevalswochenende Skifahren.

Nach Meinung mehrerer Koalitionäre hat Röttgen die Lage völlig unterschätzt. Der Hoffnungsträger der Union, dem auch das Kanzleramt zugetraut wird, muss nun zeigen, dass er einen Ausweg aus dem Schlamassel findet. Sicher: Auch SPD und Grüne waren für mehr Biosprit und machen sich nun vom Acker. Aber Röttgen hat es versäumt, die Protestwelle gegen den Sprit mit zehn Prozent Ethanol rechtzeitig zu erkennen und das Heft des Handelns an sich zu reißen.

Verbraucherschützer werfen Röttgen vor, dass die Autohersteller nicht verpflichtet wurden, auch die Haftung bei langfristigen Schäden zu übernehmen. Schließlich wurden ihnen wegen der Einführung des Biosprits nicht so scharfe Klimaschutzauflagen auferlegt, wie zunächst geplant: Statt den zunächst geplanten 120 Gramm dürfen die Autoflotten nun im Schnitt 130 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen. Die Differenz soll durch E10 erreicht werden. Aber auch Wirtschaftsminister Brüderle muss sich fragen lassen, warum die Autoindustrie bei der E10-Einführung nicht stärker in die Pflicht genommen worden ist. Ganz zu schweigen von der Benzinbranche, die für das neue Produkt kaum geworben hat.