Analyse: Norbert Röttgens Atom-Problem
Berlin (dpa) - Es ist ein bemerkenswerter Satz, den Norbert Röttgen spricht. Als sei er zu den Grünen gewechselt. „Erstens bedeutet die Erfahrung von Japan, dass die Verlängerung der Laufzeiten eine Verlängerung von Restrisiko ist“, sagt der CDU-Umweltminister am Montagabend.
„Und Restrisiko ist seit Japan nicht mehr nur eine statistische Größe, sondern eine schreckliche Lebenserfahrung“, so Röttgen.
Kurz zuvor hatte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eine dreimonatige Aussetzung der Regelung für längeren Laufzeiten verkündet. Röttgen muss nun die Mammutaufgabe stemmen, die Sicherheit der deutschen Anlagen zu garantieren und den Ausbau der Öko-Energien zu forcieren.
Oberste Priorität hat nun die Nachrüstung der Meiler, die noch weiter Atomstrom produzieren dürfen. Zwar kann auf die nun wohl rasch vom Netz gehenden Meiler Isar 1 und Neckarwestheim 1 verzichtet werden, ohne eine Stromlücke zu riskieren, aber ganz ohne Atomkraft geht es noch lange nicht. Und hier ergeben sich Ungereimtheiten.
Es war der 29. September 2010, als Röttgen im Bundestag wieder und wieder von der Opposition gefragt wurde, wie er es mit den Nachrüstungen bei den Atomkraftwerken halte. Es gebe keine Abstriche bei der Sicherheit, so lassen sich die Antworten des CDU-Umweltministers zusammenfassen. Die Auflagen für die Betreiber würden sogar noch erhöht, so der 45-Jährige. Wie, das sagte er nicht. Vorwürfe, über das reformierte Atomgesetz würde das Klagerecht von Bürgern auf Nachrüstungen ausgehöhlt, wies Röttgen zurück.
Der Minister stemmte sich nicht dagegen, dass Meiler wie Biblis A und Neckarwestheim 1, die sich nur mit Drosselung und Stillstand in die Laufzeitverlängerung retteten, ohne Nachrüstung weiterlaufen durften. Eigentlich hätten sie spätestens Anfang 2011 abgeschaltet werden müssen. Dabei hatte Rot-Grün schon mit den Betreibern beim Atomausstieg vor zehn Jahren vereinbart, dass wegen der spätestens binnen 20 Jahren erfolgenden Abschaltung bei den Meilern nur noch das Nötigste nachzurüsten sei.
In Berlin und den fünf Ländern mit Atomkraftwerken überschlugen sich am Montag die Entwicklungen, auch weil die wichtige Landtagswahl am 27. März in Baden-Württemberg vor der Tür steht. Röttgen muss nun rasch darlegen, was konkret bei den Meilern nachgerüstet werden soll und ob Kühlsysteme und Notstromversorgung sicher genug sind.
Ursprünglich veranschlagte sein Ministerium 50 Milliarden Euro für die Nachrüstkosten bei einer Laufzeitverlängerung. Durch den Atom-Vertrag wurden die Kosten dann aber auf 500 Millionen Euro pro Akw gedeckelt (insgesamt 8,5 Milliarden Euro). Wird es teurer, dürfen die Konzerne die Summe von ihren Zahlungen in den Fonds zur Förderung der Ökoenergie abziehen.
Auch ein Schutz für Meiler gegen Abstürze von Passagierflugzeugen, die sogenannte dicke Haube, war bis zum Katastrophenfall Fukushima vom Tisch. Die Regierung verbuchte dies bisher als vertretbares Restrisiko. Aber nun betont Röttgen, dass es bei der Nachrüstung auch um einen sicheren Schutz gegen Terrorattacken gehen müsse.
Röttgen sagte am Montag mit Blick auf das Drama in Japan, die Kernenergie sei ein Auslaufmodell. Und je schneller der Ausstieg gelinge, desto besser sei dies. Doch im Herbst war noch alles anders: Union und FDP ermöglichten der Atomkraft in Deutschland eine Zukunft bis etwa 2040, mit einer Laufzeitverlängerung um durchschnittlich zwölf Jahre. Japan habe immer sehr hohe Sicherheitsanforderungen an den Betrieb von Kernkraftwerken gestellt, sagte nun ein nachdenklicher Röttgen. „Und trotzdem ist das alles passiert.“
Jetzt muss er erst zeigen, wie die von der Kanzlerin angekündigten Sicherheitschecks aussehen sollen - und dass dies nicht mit den Konzernen ausgekungelt und Augenwischerei betrieben wird. Denn eines ist auch klar: Eine umfassende Nachrüstung würde viele Milliarden Euro kosten, sie ist nach Meinung von Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin eigentlich unbezahlbar. Dann würden die Konzerne abwägen und von sich aus wohl einzelne Meiler vom Netz nehmen.
Umstritten ist, dass die für die Nachrüstverhandlungen zuständige Abteilung für Reaktorsicherheit im Umweltministerium von Gerald Hennenhöfer geleitet wird, der zuvor beim Akw-Betreiber Eon sein Geld verdiente. „Hennenhöfer ist quasi der Agent der Atomwirtschaft in der Bundesregierung“, so Gerd Rosenkranz von der Deutschen Umwelthilfe.
Hennenhöfer, der die Position bis 1998 schon einmal unter der Umweltministerin Merkel bekleidete, findet solche Beschuldigungen etwas ehrenrührig und betont seine Unabhängigkeit. SPD-Vize Ulrich Kelber kritisiert, dass 2009 ein neues und nicht mehr am Stand der 80er Jahre orientiertes kerntechnisches Regelwerk mit strengeren Sicherheitsstandards vorgelegen habe, dass aber von Röttgen und Hennenhöfer nicht umgesetzt worden sei. Die Atomwirtschaft habe dies angesichts der Kosten torpediert.
Röttgen, der als CDU-Landeschef nun auch noch mögliche Neuwahlen in Nordrhein-Westfalen fürchten muss, - dem SPD-Chef Sigmar Gabriel vorwirft, nur noch mit halber Kraft sein Amt auszuüben, - hat selbst einmal gesagt, dass auf Atomkraft wohl verzichtet werden kann, wenn es einen 40-prozentigen Ökostrom-Anteil gibt. Das könnte schon bis 2020 der Fall sein. Schon im ersten Quartal 2010 gab es durch viel Windkraft einen Stromüberschuss, der in etwa so hoch war wie die Stromproduktion in fünf deutschen Atomkraftwerken in diesem Zeitraum.