Analyse: Nordkorea wird immer unberechenbarer

Seoul (dpa) - Der Reaktor verfügt lediglich über die Leistung eines großen Windrades, für die Stromproduktion ist er viel zu klein. Und dennoch könnte das stalinistische Regime in Nordkorea mit dem Atommeiler Yongbyon wieder kernwaffentaugliches Plutonium herstellen.

Mit der jüngsten Drohung, den seit Jahren abgeschalteten Kernreaktor wieder zum Laufen zu bringen, setzt Pjöngjang den nächsten Paukenschlag in der Dauerfehde mit Südkorea und den USA. Zudem hat das Land in seinem Atomzentrum Yongbyon eine Anlage für die Anreicherung von Uran, das in hoch angereicherter Form ebenfalls für den Atombombenbau verwendet werden kann.

Dadurch wird das Land nach Ansicht von Beobachtern im Konflikt um ein Atomprogramm noch unberechenbarer als es ohnehin schon ist. Beobachter sehen hinter der Ankündigung zum Reaktorneustart auch eine taktische Maßnahme. Das Ziel bleibt, als vollwertige Atommacht anerkannt zu werden.

Damit dürfte der Beschluss des Zentralkomitees der herrschenden Arbeiterpartei vom Wochenende in die Tat umgesetzt werden, den Ausbau des Atomwaffenarsenals und die wirtschaftliche Entwicklung parallel zu betreiben. Mit dieser „Zweifach-Strategie von wirtschaftlicher und militärischer Entwicklung“ befinde sich der junge Machthaber Kim Jong Un auf den Spuren seines Großvaters und „Republikgründers“ Kim Il Sung, schreibt die südkoreanische Zeitung „Chosun Ilbo“.

Nordkorea habe zum ersten Mal 1962 diese Strategie verfolgt, als es sich durch die Machtergreifung von General Park Chung Hee in Südkorea - dem Vater der jetzigen Präsidentin Park Geun Hye - bedroht gefühlt habe. Pjöngjang habe daraufhin sämtliche Ressourcen auf die Entwicklung der Verteidigungsindustrie konzentriert.

Die Ankündigung zum Reaktor-Neustart erfolgte nach einer Serie von Kriegsdrohungen Pjöngjangs gegen die USA und Südkorea. Das hatte die USA dazu veranlasst, Langstreckenbomber für Militärübungen sowie einen Zerstörer nach Südkorea zu schicken, um Stärke zu demonstrieren. Angesichts dieser explosiven Lage fürchten Südkoreaner, dass schon ein geringer militärischer Zwischenfall zu einem Krieg eskalieren könnte.

Beobachter warnen zudem, dass Nordkorea es ernst damit meine, sich seine Atomwaffen um keinen Preis der Welt „abhandeln“ zu lassen. Als Hauptgegner im zugespitzten Konflikt sieht Nordkorea dabei die USA. Der verhassten Weltmacht unterstellt das Regime, einen Atomkrieg vorzubereiten - zugleich will man aber mit Washington „auf Augenhöhe“ verhandeln.

Die Aussicht, dass Nordkorea beim Atombombenbau mit Plutonium und Uran zweigleisig fährt, wird mit großer Besorgnis gesehen. Es sei wahrscheinlich, dass Nordkorea bei seinem jüngsten Atomtest im Februar hoch angereichertes Uran (HEU) benutzt habe, schreibt Daryl G. Kimball von der US-Organisation Arms Control Association.

Das wäre bedeutsam, denn Nordkoreas Plutonium-Vorrat ist begrenzt und soll für weniger als zehn Bomben reichen. Doch die Kapazität zur Produktion von angereichertem Uran wird möglicherweise ausgeweitet. Auch US-Regierungsbeamte halten es für möglich, dass Nordkorea eine Uranbombe getestet habe. Dies würde bedeuten, dass das Regime zur Urananreicherung fähig ist, schrieb die „Washington Times“ unter Berufung auf nicht genannt Quellen in Washington.

Der US-Atomwaffenexperte Siegfried Hecker schätzt, dass Nordkorea über Plutonium für vier bis acht Bomben verfügt. Hecker hatte Nordkorea in den vergangenen Jahren mehrfach besucht und 2010 dabei auch Zugang zu der Anreicherungsanlage in Yongbyon erhalten. Das Regime hatte damals den Besuchern gesagt, dass es sich um niedrig angereichertes Uran für die Stromerzeugung handle. „Ein Risiko des Programms für niedrig angereichertes Uran ist, dass es Pjöngjang schrittweise für eine umfassende HEU-Produktion umstellt“, warnte Hecker.