Analyse: NSA sorgt für deutsch-amerikanische Eiszeit
Berlin (dpa) - „Der Spion, der aus der Kälte kam“ hieß 1965 ein Film nach einem Roman von John Le Carré. Der spielte - zur Zeit des Kalten Krieges - in der Ost-West-Agentenszene.
Die eisige Konfrontation der Blöcke ist längst vorbei. Doch Spione tummeln sich immer noch weltweit. Weil der US-Geheimdienst NSA mutmaßlich auch das Handy der deutschen Kanzlerin abgehört hat, möglicherweise sogar seit vielen Jahren, droht eine Eiszeit zwischen Berlin und Washington.
Doch auch in Staaten wie Frankreich ist die transatlantische Liebe wegen der Spähaffäre abgekühlt. Dies trifft ganz sicher auch auf die persönliche Beziehung von Angela Merkel zu Barack Obama zu. Ganz große Freunde waren Kanzlerin und US-Präsident ohnehin nie. Sie kritisierte zum Beispiel seinen Angriff auf Libyen vor knapp drei Jahren. Er bemängelt, dass Deutschland bei der Ankurbelung der Weltkonjunktur zu stark bremst.
Von einem - nach Medienberichten abhörsicheren - Festnetztelefon im Kanzleramt aus machte die Kanzlerin gegenüber dem mächtigsten Mann der Welt keinen Hehl aus ihrem aktuellen Unmut. Beim jüngsten EU-Gipfel in Brüssel stellte sie das anschließend auch vor laufenden Kameras klar: „Ausspähen unter Freunden - das geht gar nicht.“
Wie tief die deutsche Regierung über die amerikanischen Partner verstimmt ist, zeigte am Donnerstag schon die Einbestellung des amerikanischen Botschafters in Deutschland zum Rapport beim amtierenden Außenminister Guido Westerwelle. Ein solcher Schritt gilt unter Diplomaten als schärfte Form der Missbilligung. Erst recht, wenn sie keinem Schurkenstaat, sondern einem Verbündeten gilt.
Merkel ist ehemalige Bürgerin der DDR, ein Staat, der auch wegen seiner Stasi-Abhörpraktiken international unten durch war. Nun scheint sich das unter anderen Umständen zu wiederholen, mit Merkel als Opfer. Zur Erinnerung: 2011 erhielt die deutsche Regierungschefin in Washington von Obama die Freiheitsmedaille überreicht. Es ist die höchste zivile Auszeichnung der USA.
Im Sommer ging der Präsident bei seiner Rede vor dem Brandenburger Tor darauf noch einmal ein - und beschwichtige höchstselbst deutsche Sorgen über massenhaftes Ausspähen in Deutschland durch amerikanische Geheimdienste. Und das zu einem Zeitpunkt, zu dem die NSA mutmaßlich Gespräche und SMS-Kurzmitteilungen von Merkel abschöpfte.
Sollte Merkel bereits 2002 abgehört worden sein, wie der „Spiegel“ recherchierte, dauerte die Affäre schon mehr als ein Jahrzehnt.
Begonnen hatte die Überwachung demnach nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Verdächtig aus Sicht der Amerikaner hatte sich Deutschland mit dem Nein von Kanzler Gerhard Schröder (SPD) zur Beteiligung am Irak-Krieg im Jahr 2002 gemacht. Merkel war damals CDU-Vorsitzende, Kanzlerin wurde sie 2005.
Aufklärung über die Ausspäh-Aktivitäten erhofft sich nun die Bundesregierung, wenn im Laufe der Woche der Geheimdienstkoordinator der Bundesregierung sowie die Präsidenten von Bundesnachrichtendienst und Bundesamt für Verfassungsschutz nach Washington reisen: zum Treffen mit Vertretern des Weißen Hauses und des US-Geheimdienstes NSA. Die haben bisher das Problem eher kleingeredet. Und die deutschen Geheimdienste zeigten sich unwissend.
Wie auch immer die Geschichte ausgeht: Das Vertrauen zu den Amerikanern ist erschüttert. Festzuhalten bleibt aber auch: Bei der Bundesregierung schrillten die Alarmglocken erst in dem Moment, als „Spiegel“-Informationen über Merkel als NSA-Opfer die Runde machten.