Analyse: Obama lässt Kongress entscheiden
Washington (dpa) - Das erste Zeichen war der Ort, den US-Präsident Barack Obama am Samstag für seine Erklärung zum Syrien-Konflikt wählte. Einen Militärschlag verkündet man nicht im Garten des Weißen Hauses.
Zwischen prachtvollen roten Rosen - und mit den deutlich vernehmbaren Rufen von Demonstranten im Hintergrund, die „Hände weg von Syrien“ skandierten. Das zweite Zeichen waren die Gerüchte in Washington, dass am Wochenende wohl nicht mehr mit einem Angriff zu rechnen sei. Entscheidend war dann dieser Satz: „Ich habe eine zweite Entscheidung getroffen“, sagte der Präsident.
Tagelang hatte die Welt auf die erste Entscheidung gewartet: Bestraft der amerikanische Oberfehlhaber das Regime von Machthaber Baschar al-Assad für einen mutmaßlichen Chemiewaffenangriff in den Vororten von Damaskus, den Obama als „schlimmste Giftgasattacke des 21. Jahrhunderts“ bezeichnet? Feuert er Marschflugkörper ab, zur Not auch im Alleingang ohne Alliierte, die nach und nach von der Fahne gehen? Oder findet er einen anderen Weg, den syrischen „Verbrecher“ und „Mörder“, wie Außenminister John Kerry Assad am Freitag nannte, zur Rechenschaft zu ziehen?
Als Obama am Samstag sein Verdikt fällte („Ich bin bereit, den Befehl zu geben“), ließ er ein gewaltiges „Aber“ folgen. Er werde einen Angriff gegen Syrien von der Genehmigung durch den Kongress abhängig machen, durch die gewählten Vertreter des Volkes. Als Commander-in-Chief hätte Obama ungehindert einen Militärschlag befehligen können, doch er entschied sich für einen Paukenschlag. Mit wenigen Worten stellte er die globale Diskussion über Syrien auf den Kopf. Aus einer internationalen Krise ist für ihn erstmal ein nationaler Showdown geworden, eine innenpolitische Kraftprobe.
Beobachter sind sich sicher, dass Obama ein großes Wagnis eingeht. Was, wenn er das gleiche Schicksal erleidet wie der britische Premier David Cameron vor wenigen Tagen? Zwischen Obama und dem Kongress herrscht alles andere als eine Liebesbeziehung. Im Abgeordnetenhaus haben die oppositionellen Republikaner die Mehrheit. Im Senat sind die Demokraten knapp die stärkere Partei. Doch lässt sich die Frage über Krieg und Frieden in diesem Fall nicht an Parteilinien festmachen. Das Abstimmungsergebnis scheint offen.
Das Weiße Haus sagte in den vergangenen Tagen mit Worten, die klarer nicht hätten sein können, dass die USA gegen Assad handeln müssten: Schließlich sei mit dem „entsetzlichen Giftgasangriff“ die „rote Linie“ überschritten worden, die Obama im vergangenen Jahr kühn gezogen hatte. Wenn er sich jetzt das Heft des Handelns vom Kongress aus der Hand nehmen lässt, könnte das vor allem auf internationaler Bühne ein beispielloser Gesichtsverlust sein. Schon jetzt befürchten Befürworter eines Vergeltungsschlages, dass dieser nun mindestens um Wochen verzögert wird - genügend Zeit für Assad, sein Volk weiter zu massakrieren.
Gibt ihm der Kongress hingegen grünes Licht, könnte Obama dies nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland einen riesigen Erfolg bescheren und zu mehr Rückendeckung für einen Angriff gegen Syrien führen. Als Präsidentschaftskandidat hatte er 2007 selbst gesagt, dass die Volksvertreter mehr Mitsprache bei Entscheidungen über Militäreinsatze haben sollten. Nun hält er sich an seine eigenen Worte. Zudem gewinnt Obama durch seine „zweite Entscheidung“ wichtige Zeit, um noch mehr Überzeugungsarbeit zu leisten. Daheim bei den kriegsmüden Bürgern und im Ausland bei den Alliierten, etwa beim G20-Gipfel kommende Woche in Russland.