Analyse: Obama macht ernst
Washington (dpa) - Der Zeitpunkt ist kein Zufall. Kurz vor dem Treffen der G8 in Nordirland hat sich US-Präsident Barack Obama auf die Seite derjenigen geschlagen, die schon seit langem Waffen an die Aufständischen im syrischen Bürgerkrieg liefern wollen.
Es hatte fast den Eindruck, als ob Obama über eine von ihm gezogene „Rote Linie“ getragen werden musste. Jedenfalls ist für seine Regierung nach langem Abwägen die Beweislage nun klar, dass das Regime von Baschar al-Assad tödliches Giftgas eingesetzt hat.
Seit Wochen sprechen vor allem Frankreich und Großbritannien von Beweisen für den Kampfstoffeinsatz im Bürgerkrieg. Die Amerikaner hingegen drängten lange auf eindeutigere Belege. Manche nannten das besonnen, andere entscheidungsschwach. Die Ungeduld unter Alliierten, im US-Kongress, im Militär und selbst in Obamas Regierung wurde immer größer.
Doch nun sind die Türen für eine Diskussion der großen Acht über die von Obama angekündigten „enormen Konsequenzen“ weit geöffnet. Der US-Präsident hatte sie bereits im Vorjahr für den Fall angekündigt, sollte das Assad-Regime Chemiewaffen einsetzen sollte.
Die Beweislage ist nach US-Angaben klar - eine Fehleinschätzung wie über angebliche Massenvernichtungswaffen vor dem Irak-Krieg unwahrscheinlich. Ob die mächtigsten Politiker der Welt bei dem Thema nun tatsächlich vorankommen, ist trotzdem mehr als fraglich.
Zwar erscheinen sich die Amerikaner, Briten und Franzosen einig, dass zumindest in kleinem Ausmaß Waffenlieferungen an die Rebellen an der Zeit sind. Doch andere Länder wie Deutschland, Italien oder Japan sind betont zurückhaltend. In europäischen Diplomatenkreisen gilt ein Entschluss in Nordirland über weitere Schritte als sehr unwahrscheinlich: Die G8 seien schließlich kein Sicherheitsrat - und wenn sie über Außenpolitik sprächen, dann informell.
Dennoch taugt das Thema für echte Verstimmungen - vor allem zwischen den USA und Russland. Der Kreml wies die Vorwürfe über den Giftgaseinsatz in Syrien postwendend als „nicht überzeugend“ zurück. Während Moskau weiter Waffen an Assad liefert, bezeichnet es die Aufrüstung der Rebellen als Verstoß gegen internationales Recht. Das Wiedersehen von Obama und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin beim G8 soll eigentlich die angespannte Beziehung zwischen beiden Ländern lockern. Ein Eklat über Syrien dürften beide nicht wollen.
Überhaupt ist völlig offen, was die Amerikaner sich nun eigentlich vorstellen. Obamas stellvertretender Sicherheitsberater Ben Rhodes spricht von militärischer Unterstützung. „Das Beste, was wir tun können, ist, den Oppositionellen am Boden zu helfen.“ Laut US-Medien soll der Geheimdienst CIA den Aufständischen Kleinwaffen und Munition liefern. Vielleicht könnten künftig auch Panzerfäuste hinzukommen, heißt es. Doch größere Geschütze, Flugabwehrraketen etwa? Fehlanzeige.
Ein echter internationaler Militäreinsatz wie zur Errichtung einer Flugverbotszone über Syrien stehe nicht einmal zur Debatte, schreibt die „New York Times“. „Wir haben noch nicht über eine Flugverbotszone entschieden“, sagt Rhodes zwar. Doch nur, um danach zu erklären, wie kompliziert, teuer und wenig erfolgsversprechend sie sei. Auch Martin Dempsey, der US-Generalstabschef, warnte bereits vor Wochen. Nur zehn Prozent der Opfer in Syrien seien bei Angriffen aus der Luft ums Leben gekommen. Und der Einsatz von Bodentruppen? Das ist für Obama nach den Kriegen in Afghanistan und im Irak tabu.
Die Optionen für „enorme Konsequenzen“ erscheinen so gering, dass Experten mit Achselzucken auf die neuen Chemiewaffenvorwürfe der USA reagierten. Mit „Kleinwaffen“ könne die Opposition nun eh nichts mehr gegen Assad ausrichten. Die US-Regierung habe „vielleicht zu langsam“ reagiert, meint Anthony Cordesman vom Washingtoner Institut Center for Strategic and International Studies laut dem Magazin „Politico“. „Ich wäre überrascht, wenn die Regierung das plötzlich bis zur höchsten Stufe eskalieren lassen würde.“
Die Opposition im US-Kongress fordert genau das: Der republikanische Senator John McCain will beispielsweise Luftangriffe auf die Flugplätze, von denen Assad seine tödlichen Flieger starten lässt oder auf denen militärischer Nachschub aus dem Iran ankommt. Denn vor allem der Einfluss aus Teheran und der libanesischen Hisbollah in Syrien wurmt die Falken in der US-Politik. „Der Präsident hat keinen schlüssigen Plan, wie er mit der zunehmenden strategischen Katastrophe umgehen soll“, sagte der Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus, Eric Cantor.
Doch die neuen Äußerungen aus dem Weißen Haus seien nur „Signale“, meint Cordesman. In Wirklichkeit wolle man noch einmal einen Versuch für eine diplomatische Lösung unternehmen. Vielleicht kommt es ja nun doch zu einer neuen Syrienkonferenz in Genf, die US-Außenminister John Kerry mit Russland angestoßen hatte. Die G8 werden darüber zu reden haben.