Analyse: Osteuropäer räumen Berlinale-Preise ab
Berlin (dpa) - Filme aus Osteuropa sind die großen Gewinner der 63. Berlinale - die Deutschen gingen (fast) erwartungsgemäß leer aus. Der Goldene Bär wurde erstmals nach Rumänien vergeben.
Die Jury unter Vorsitz des chinesischen Regisseurs Wong Kar Wai („In The Mood For Love“) zeichnete mit dem Hauptpreis Calin Peter Netzers Drama „Die Stellung des Kindes“ („Pozitia Copilului“) aus - eine mit Krimi-Elementen inszenierte Geschichte über Schuld, Verantwortung und Korruption, die zu den Favoriten des Festivals zählte.
Gleich zwei Preise holte der halbdokumentarische Film „Eine Episode aus dem Leben eines Metallsammlers“ („Epizoda u zivotu beraca zeljeza“) von Oscar-Preisträger Danis Tanovic („No Man's Land“) aus Bosnien-Herzegowina. Der Film erhielt den Großen Preis der Jury, eine besonders begehrte Auszeichnung. Tanovics Hauptdarsteller Nazif Mujic nahm außerdem den Silbernen Bären als bester Schauspieler entgegen. Der Roma spielt in dem Film zusammen mit seiner Frau und den Kindern eine reale Episode aus dem harten, ärmlichen Leben der Familie nach.
Einen Silbernen Bären für die beste Kamera erhielt Aziz Zhambakiyev für seine streng komponierten Bilder im kasachischen Adoleszenz-Drama „Harmony Lessons“ („Uroki Garmonii“) von Regisseur Emir Baigazin - eine Studie über Gewalt an einem dörflichen Gymnasium.
Der Gewinnerfilm „Die Stellung des Kindes“ („Pozitia Copilului“) analysiert eine schwierige Mutter-Sohn-Beziehung. Nachdem ihr Sohn mit dem Auto ein Kind überfahren und getötet hat, versucht die reiche Cornelia (Luminita Gheorghiu), ihn mit allen Mitteln vor Strafe zu bewahren. Sie will Polizisten und Richter, ja sogar die in Armut lebende Familie des Opfers bestechen. Über eine persönliche Tragödie erzählt Netzer die Tragödie einer Gesellschaft, die alle Menschlichkeit an Geld- und Machtgier verkauft.
„Wenn ich über Familienstrukturen spreche, spiegele ich natürlich auch gesellschaftliche Strukturen“, sagte der 1975 im rumänischen Petrosani geborene und in Deutschland aufgewachsene Netzer bei der Vorstellung des Films. „Wir zeigen das Milieu der Upper-Middle-Class, weil es solche psychologischen Dramen dort viel häufiger gibt als etwa in der Unterschicht.“
Der einzige deutsche Berlinale-Wettbewerbsfilm „Gold“ von Thomas Arslan, von der Kritik schon während des Festivals negativ beurteilt, war nicht unter den Gewinnern - genauso wenig wie seine Hauptdarstellerin Nina Hoss oder die deutschen Schauspieler Martina Gedeck („Die Nonne“) und August Diehl („Layla Fourie“).
Der als heißer Bären-Favorit gehandelte iranische Film „Geschlossener Vorhang“ („Pardé“) des verfolgten iranischen Regisseurs Jafar Panahi und seines Kollegen Kamboziya Partovi holte immerhin den Silbernen Bären für das beste Drehbuch. „Das Aufhalten eines Künstlers und eines Denkens war niemals möglich“, sagte Partovi. Panahi, der sich offen zur Opposition im Iran bekennt, hat in seinem Heimatland Arbeitsverbot.
Sehr zurecht als beste Schauspielerin geehrt wurde die Chilenin Paulina García für ihre Rolle als „Gloria“ in Sebastián Lelios gleichnamigen Film. Leicht, aber dennoch mit Tiefgang erzählt die Tragikomödie von einer Frau Ende 50, die noch einmal von der großen Liebe träumt - sie hat einen holperigen Weg zu neuem Selbstwertgefühl vor sich. Der Film ist eine gelungene, gefühlvolle Gratwanderung zwischen Komik und Tragik, Lebenslust und Melancholie.
Überraschend war die Entscheidung der Jury, in der auch der deutsche Regisseur Andreas Dresen („Halt auf freier Strecke“) saß, in der Kategorie Regie. Dort holte der US-Amerikaner David Gordon Green die Trophäe für seine ziemlich harmlose Tragikomödie „Prince Avalanche“, die von der Ziellosigkeit satter westlicher Menschen in den 1980er Jahren erzählt.
Insgesamt fünf der 19 diesjährigen Wettbewerbsfilme kamen aus Osteuropa. Sie erzählten alle von Menschen in schwierigsten, teils elenden Lebenssituationen. Ein besonders düsteres und tragisches Bild zeichnete Tanovics' „Eine Episode aus dem Leben eines Metallsammlers“. Weil die Familie die Krankenhausbehandlung für die schwangere Mutter nicht bezahlen kann, stirbt die Frau fast.
„Mein erstes Motiv war: Ich wollte helfen“, so Tanovic. „Ich habe das auch politisch versucht, bin aber nicht weit gekommen. Und da ich nun mal Filmemacher bin, fand ich es richtig, zu versuchen, durch einen Film zu helfen, einen Film, der auf die Zustände in unserem Land aufmerksam macht.“