Analyse: Polizei sucht nach Strategie
Ferguson (dpa) - Die US-Behörden bekommen die Krawalle in Ferguson nicht in den Griff. Beobachter sprechen von schweren Verstößen gegen die Pressefreiheit. Barack Obama ist im Dilemma.
Plötzlich sagt Barack Obama einen Satz, den er sonst eher über Länder wie China, Ägypten oder den Iran formuliert hätte. Gemeint ist die Kleinstadt Ferguson: „Hier in den Vereinigten Staaten sollte die Polizei Journalisten nicht schikanieren oder festnehmen, die nur versuchen, ihren Job zu machen und den Amerikanern zu berichten, was sie vor Ort sehen.“ Selbst der US-Präsident muss nun eingestehen, dass die Polizei dort bei ihrem Umgang mit Journalisten deutlich zu hart vorgegangen ist.
Mindestens neun Journalisten waren während der nächtlichen Unruhen festgenommen worden, darunter drei deutsche. Ihren Berichten zufolge wurden sie in Handschellen abgeführt. Was folgte, waren teils fadenscheinige Begründungen. Als der „Welt“-Korrespondent Ansgar Graw nach dem Namen des verantwortlichen Polizisten fragte, erhielt er die Antwort „Donald Duck“.
Einige Reporter sind mit schusssicheren Westen und Gasmasken im Einsatz; sie haben Angst vor Gummigeschossen und Tränengas. Eine Lokalpolitikerin twitterte, CNN habe sämtliche Helme in einem Geschäft für Militärausrüstung aufgekauft.
Auf Ranglisten der Pressefreiheit sind die USA im vergangenen Jahr deutlich abgesackt; bei der Organisation Reporter Ohne Grenzen (ROG) landen sie nur noch auf Platz 46 von 180 Ländern. Grund ist unter anderem die strenge Verfolgung von „Whistleblowern“ (Warnern) wie der Wikileaks-Informant Chelsea Manning und der NSA-Enthüller Edward Snowden.
Das teils aggressive Vorgehen der Polizei in dem Vorort von St. Louis lässt die Alarmglocken bei Journalistenverbänden nun noch lauter läuten. Laut „Washington Post“ soll ein Polizist einem filmenden Reporter zugerufen haben: „Hau verdammt noch mal ab von hier und lass das Licht aus, sonst wirst Du hiermit beschossen.“ Die Bürgerrechtsorganisation ACLU fordert von der Polizei, die Vorgaben für die Berichterstattung klar zu definieren.
Immer auffälliger wird auch die Strategielosigkeit der Behörden. Seit dem Ausbruch der Unruhen vor über einer Woche wechselte die Polizei mehrfach ihre Strategie. Erst traten die Beamten knallhart und hochgerüstet wie Soldaten auf - und rückten im Schutz von Schützenpanzern vor. Nach Kritik an dieser „Militarisierung“ übernahm die eher laxe Highway Patrol die Arbeit an der Protestfront. Demonstrativ wurde ein schwarzer Polizeioffizier ins Rampenlicht geschoben, der vor laufenden Kameras unaufhörlich schwarze Bürger in den Arm nahm.
Als die „sanfte“ Welle“ nicht aufging, verhängten die Behörden ein nächtliche Ausgangssperre. Aber auch das brachte kein Ende der Zusammenstöße. Daraufhin machte Gouverneur Jay Nixen am Montag die Nationalgarde mobil. Zugleich wurde die Ausgangssperre aber wieder aufgehoben - eine konsequente Strategie sieht anders aus.
Die Krawalle bringen Obama in ein Dilemma. Es sind die ersten schweren Unruhen seiner knapp sechsjährigen Amtszeit, bei denen es auch um den Konflikt zwischen Schwarz und Weiß geht. Obama wirkt hin- und hergerissen zwischen Sympathie für die schwarzen Jugendlichen, deren Schicksal er nur zu gut kennt, und seiner Pflicht, als „Commander in Chief“ (Oberbefehlshaber) für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Penibel vermeidet er jede Bewertung, wer Schuld am Ausbruch der Unruhen tragen könnte, und verurteilt Polizeigewalt ebenso wie Angriffe auf die Polizisten - ein schwieriger Balanceakt.
Als erster schwarzer US-Präsident hatte Obama sich vorgenommen, die Lage der Afroamerikaner zu verbessern, den Benachteiligten mehr Chancen zu verschaffen. „Wir haben außergewöhnliche Fortschritte erreicht“, sagt Obama im Weißen Haus, „aber wir haben nicht genügend Fortschritt erreicht“. Das klingt eher kleinlaut und bescheiden - ob es die Demonstranten zu beruhigen vermag?
Hinzu kommt die Kreuzfrage, wer in Ferguson eigentlich nachts auf die Straße geht. Fest steht: Längst nicht alle sind friedliche Demonstranten. Immer häufiger tauchen junge Leute auf, die geübt Tränengasbomben der Polizei zurückwerfen. Angeblich reisen die Unruhestifter von weither an. Selbst Obama spricht von einer „kleinen Minderheit“, die die Lage ausnutze, zur Gewalt greife und Geschäfte plündere.
Als Sofortmaßnahme zur Beruhigung der Lage schickte Obama erst einmal seinen Justizminister und obersten Staatsanwalt Eric Holder vor Ort. Und der Präsident selbst? Reist er auch nach Ferguson?, wollte eine Journalistin wissen - doch sie bekam keine Antwort.