Analyse: Putin feiert demonstrativ auf der Krim
Moskau/Sewastopol (dpa) - Mehr Symbolkraft ist kaum möglich. Mit einem Besuch in der „Heldenstadt“ Sewastopol auf der Krim beweist Kremlchef Wladimir Putin am wichtigsten Feiertag des Landes sein gewaltiges Selbstbewusstsein im erbitterten Ukraine-Konflikt.
Ungeachtet aller Proteste aus Kiew und dem Westen - der umstrittene Anschluss der ukrainischen Schwarzmeerhalbinsel Krim an Russland entspreche der „historischen Wahrheit“, betont Putin.
Demonstrativ gut gelaunt inszeniert sich der russische Präsident im Hafen von Sewastopol auf der Brücke eines Patrouillenboots als Steuermann seines Landes. Umringt von ordengeschmückten Admirälen lässt Putin die konzeptlose ukrainische Führung wie Leichtmatrosen erscheinen. An Bord der weißen Jacht mit der Nummer 1404 kreuzt Putin mit seiner Entourage an den großen grauen Riesen der russischen Schwarzmeerflotte vorbei. Im Schlepptau hat der Präsident auch seinen Verteidigungsminister Sergej Schoigu und den mit westlichen Sanktionen belegten Flottenchef Alexander Witko.
Beobachter sprechen angesichts der Visite auf der sonnengefluteten Krim von einem klaren Zeichen: Ohne Rücksicht auf die Meinung seiner Kritiker vor allem im Westen geht Putin seinen Weg voran. Pomp und Patriotismus beeindrucken auch viele Russen.
Der Jubel an der Hafenpromenade ist gewaltig. Laut tönt das tausendstimmige „Hurra!“. Im Staatsfernsehen gibt sich die Moderatorin als gute Patriotin: „Die Einwohner der Heldenstadt Sewastopol und der Krim sind jetzt Russen und feiern den Tag des Sieges als Teil Russlands“, sagt sie. Dabei hatten im Zweiten Weltkrieg Russen und Ukrainer gemeinsam in der Sowjetarmee gekämpft.
Nur wenige Stunden vor seiner geheimgehaltenen Krim-Visite steht Putin auf dem Roten Platz in Moskau, im Rücken das Mausoleum für den sowjetischen Revolutionsführer Lenin. Vor seinen Augen defilieren Tausende Soldaten im Stechschritt sowie Panzer und schwere Militärfahrzeuge. „Ehre dem Siegervolk“, ruft Putin vor Dutzenden Veteranen.
Am 9. Mai als Tag des Sieges über Nazi-Deutschland befindet sich das ganze Land im Russland-Taumel. Auch viele Kremlgegner heften sich ein schwarz-orangenes Georgsband an als Symbol für den Triumph über den Faschismus. Doch Historiker kritisieren, die Feiern seien zu einem Kult verkommen. Vor lauter Freude über die glorreiche Vergangenheit dürften Gegenwart und Zukunft nicht aus den Augen verloren werden.
Auf diese neue Heimatliebe, die auch von den Sanktionen des Westens angetrieben wird, aber setzt Putin. Mit dem Anschluss der Krim habe sich der Kremlchef als „Sammler russischer Erden“ wie zu Zarenzeiten bewiesen, betonen Kommentatoren. Das wirkt sich aus: Putins Popularität ist so groß wie nie, in Umfragen erntet der Präsident ständig neue Rekordwerte mit mehr als 80 Prozent Zustimmung.
Auch in der Ukraine gilt Putin vielen als Retter. Besonders im Osten der Ex-Sowjetrepublik geht es vielen Menschen darum, weiter Teil der „russischen Welt“ zu sein, mit russischer Sprache, Kultur, Tradition und dem russisch-orthodoxen Glauben. Die prowestliche Führung jagt ihnen Angst ein - woran nach Ansicht von Beobachtern tendenziöse Berichte in den russischen Staatsmedien mitverantwortlich sind.
In Kiew seien „Faschisten“ und „Extremisten“ an der Macht, betonen Moskauer Kanäle und Zeitungen. 69 Jahre nach dem Weltkriegsende zeigen solche Warnungen durchschlagene Wirkung. Auch die russische Führung heizt die Stimmung an. Die „Fratze des Faschismus“ zeige in Europa wieder ihr Haupt, heißt es in Moskau wiederholt.
Dabei kommt dem Kreml zugute, dass sich die ukrainische Regierung nie eindeutig von ultranationalistischen und rechtsextremen Gruppen distanziert hat. Dass Kiew die traditionelle Siegesfeier absagte, dass roter Mohn die traditionellen Georgsbänder als Symbol des Triumphes ersetzt - für Moskau sind dies umso mehr Beweise, dass die Ukraine sich dem Faschismus ergebe.
Nun wenden sich viele russischsprachige Einwohner der Grenzregionen hilfesuchend an den Kreml. In einem Referendum wollen zwei Gebiete an diesem Sonntag über eine Abspaltung von Kiew entscheiden. Selbst wenn - wie zu erwarten - Moskau eine Unabhängigkeit der Regionen nicht anerkennen sollte: Der Einfluss des Kreml wird weiter sehr groß sein.